Königsklingen (First Law - Band 3)
oder die ungünstigen Umstände einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt aber waren die Bedingungen ideal, und offenbar hatte er dieser Gelegenheit nicht widerstehen können.
Jalenhorm schüttelte langsam den Kopf. »Verdammter Poulder.«
West stieß ein entnervtes Schnauben aus, hob das Fernglas und hätte es beinahe zu Boden geschleudert. Erst im letzten Augenblick beherrschte er sich, zwang sich, tief Luft zu holen, und schob das Gerät zornig zusammen. Er konnte es sich heute nicht leisten, die Beherrschung zu verlieren. »Nun, das war’s dann wohl, oder? Blasen Sie zum Angriff auf ganzer Linie!«
»Zum Angriff blasen!«, brüllte Pike. »Zum Angriff!«
Laut tönte die Trompete durch die kühle Morgenluft; Wests Kopfschmerzen wurden davon nicht besser. Er schob einen schlammverkrusteten Stiefel in den Steigbügel und zog sich, wundgeritten, wie er nach dem nächtlichen Ritt war, widerstrebend in den Sattel. »Ich denke, wir müssen General Poulder wohl nun zu ruhmreichen Taten folgen. Wenn auch in einer etwas weniger ehrenvollen Entfernung. Irgendjemand muss dieses Durcheinander schließlich noch ein wenig sortieren.« Aus der Ferne erklangen nun weitere Trompetenstöße als Antwort, und rechter Hand setzte sich allmählich die Reiterei von General Kroy in Bewegung.
»Major Jalenhorm, befehlen Sie den Fußtruppen, sobald sie eintreffen, das sofortige Nachrücken.« Wests Kinn muskeln mahlten. »Wenn’s sein muss, Stück für Stück.« »Selbstverständlich, Herr Marschall.« Der massige Mann wandte bereits sein Pferd, um die Befehle weiterzuleiten. »Krieg«, brummte West. »Ein ehrbares Geschäft.« »Herr Marschall?«, fragte Pike.
»Ach, nichts.«
Kurz vor dem Ende der Treppe nahm Jezal zwei Stufen auf einmal. Gorst und ein Dutzend Ritter der Wacht eilten ihm rasselnd hinterher und gaben sich alle Mühe, sich ihm wie ein Schatten an die Fersen zu heften. Er rauschte majestätisch an der Wache vorbei ins helle Morgenlicht oben auf dem Kettenturm, hoch über der umkämpften Stadt. Lord Marschall Varuz stand bereits an der Brustwehr, von einem Grüppchen Stabsoffiziere umringt, die alle auf Adua hinabsahen. Der alte Soldat hielt sich starr aufgerichtet, die Hände hinter dem Rücken, wie er es auch vor langer Zeit während des Fechtunterrichts getan hatte. Jezal hatte damals allerdings nie erlebt, dass seine Hände zitterten. Das taten sie nun, und zwar heftig. Kronrichter Marovia stand neben Varuz, und die sanfte Brise rührte an seiner schwarzen Robe.
»Was gibt es Neues?«, verlangte Jezal zu wissen.
Der Lord Marschall fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Die Gurkhisen haben vor dem Morgengrauen einen Ausfall gewagt. Die Verteidiger auf dem Arnaultwall wurden überwältigt. Es dauerte nicht lange, und es gelang ihnen, Soldaten am Hafen an Land zu setzen. Sehr viele. Wir haben während des Rückzugs mit größtem Mut gekämpft, aber ... nun ...«
Mehr musste tatsächlich nicht gesagt werden. Als Jezal sich der Brustwehr näherte und das verwundete Adua in sein Sichtfeld rückte, konnte er die Gurkhisen erkennen, die über den Mittenweg strömten, während die winzigen goldenen Standarten der Legionen des Imperators über der Menschenmenge trieben wie Strandgut auf der Strömung. Als sähe er eine Ameise auf dem Teppich, um sich dann der Tatsache bewusst zu werden, dass Hunderte durch sein Wohnzimmer wimmelten, fielen Jezal nun auch andernorts Bewegungen auf, überall. Das Herz der Stadt war überrannt von gurkhisischen Soldaten.
»Die Kämpfe auf diesem Rückzug waren, nun ja, von gemischtem Erfolg«, schloss Varuz matt.
Unten stürmten einige Männer zwischen den Gebäuden hervor, die nahe dem Westtor des Agrionts lagen, rannten über das Kopfsteinpflaster des Platzes vor dem Burggraben und hielten auf die Brücke zu.
»Gurkhisen?«, kreischte jemand.
»Nein«, brummte der Lord Marschall. »Das sind unsere Leute.« Die Männer versuchten lediglich, dem Gemetzel zu entfliehen, das überall in der zerstörten Stadt vor sich ging. Jezal hatte dem Tod oft genug ins Gesicht gesehen, um zu erahnen, wie sie sich fühlten.
»Werden diese Männer in Sicherheit gebracht?«, fragte er mit leicht gebrochener Stimme.
»Ich fürchte ... die Tore wurden verschlossen, Euer Majestät.«
»Dann öffnen Sie sie!«
Varuz’ verschleierter Blick glitt nervös zu Marovia. »Das wäre ... nicht sehr weise.«
Ein Dutzend oder mehr hatten es nun bis zur Brücke geschafft, riefen laut und
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