Königsklingen (First Law - Band 3)
wedelten mit den Armen. Ihre Worte waren über die Entfernung nicht zu verstehen, aber den hilflosen, entsetzten Tonfall konnte man nicht überhören.
»Wir sollten etwas tun.« Jezals Hände umklammerten die Zinnen. »Wir müssen etwas tun! Es werden noch andere draußen sein, viele andere!«
Varuz räusperte sich. »Euer Majestät ...«
»Nein! Lassen Sie mein Pferd satteln. Rufen Sie die Ritter der Wacht zusammen. Ich weigere mich ...«
Kronrichter Marovia war vor die Tür zur Treppe getreten, blockierte den Durchgang und sah ruhig und traurig in Jezals Gesicht. »Wenn Sie die Tore öffnen ließen, würden Sie das Leben jener gefährden, die sich im Agriont aufhalten. Das Leben vieler tausend Bürger, die alle auf Ihren Schutz vertrauen. Hier können wir ihnen zumindest für den Augenblick Sicherheit gewähren. Wir müssen ihnen diese Sicherheit erhalten.« Seine Augen glitten zur Seite, hinunter auf die Straßen. Verschiedenfarbige Augen, wie Jezal bemerkte; eines war blau, das andere grün. »Wir müssen abwägen, was für das Allgemeinwohl wichtiger ist.«
»Für das Allgemeinwohl.« Jezal sah nun zur anderen Seite vom Turm hinab in den Agriont. Tapfere Verteidiger hatten sich entlang der Mauern aufgestellt, wie er wusste, und sie waren bereit, bis zum Tod für ihren König und ihre Heimat zu kämpfen, ob er das verdiente oder nicht.
Er stellte sich vor, dass auch unbewaffnete Bürger schutzsuchend durch die engen Gassen liefen. Männer, Frauen, Kinder, Alte und Junge, die aus ihren zerstörten Häusern vertrieben worden waren. Menschen, denen er eine Zuflucht versprochen hatte. Seine Augen glitten über die hohen weißen Gebäude, die den grünen Park umgaben, über den breiten Marschallsplatz, den langen Weg der Könige mit den hohen Statuen. Überall waren, wie er wusste, Hilflose und Bedürftige. Unglückliche, denen nichts anderes übrig blieb, als auf den feigen Betrüger Jezal dan Luthar zu vertrauen.
Ihm war, als müsse er ersticken, aber er wusste, dass der alte Tintenkleckser recht hatte. Er konnte nichts tun. Bei seinem letzten heroischen Ausfall war es reines Glück gewesen, dass er überhaupt überlebt hatte, und es war nun ohnehin viel zu spät, etwas Derartiges noch einmal zu wagen. Draußen vor dem Agriont strömten gurkhisische Soldaten auf den Platz vor dem Tor. Einige von ihnen trugen Bogen in der Hand, knieten sich auf den Boden und schickten einen Pfeilhagel auf die andere Seite der Brücke. Winzige Figuren schwankten und stürzten, klatschten ins Wasser des Burggrabens. Winzige Schreie wehten zur Spitze des Kettenturms hinauf.
Als Antwort erklang das Klappern einer Flachbogensalve von den Mauern, und die Gurkhisen wurden mit Bolzen gespickt. Männer stürzten, andere verließ der Mut, und sie zogen sich zurück. Ein paar Leichen blieben auf dem Pflaster liegen. Die Soldaten suchten Deckung in den Gebäuden rund um den Platz, und Männer glitten in den Schatten von Haus zu Haus. Ein Unionssoldat sprang von der Brücke und tat ein paar Schwimmzüge im Burggraben, bevor er unterging. Er tauchte nicht wieder auf. Eine Hand voll gestrandeter Verteidiger bewegte sich noch und hob verzweifelt die Arme. Für sie war es vermutlich nur ein geringer Trost, als sie auf der Brücke ihre letzten Atemzüge taten, dass man das Allgemeinwohl im Auge behalten musste. Jezal kniff die Augen zusammen und sah weg.
»Dort! Im Osten!«
Varuz und einige Mitglieder seines Stabs hatten sich an der anderen Seite des Turms zusammengedrängt und sahen am Haus des Schöpfers vorbei zu den Feldern außerhalb der Stadt. Jezal schritt zu ihnen hinüber und beschattete seine Augen gegen die aufgehende Sonne. Hinter der großen Mauer des Agrionts, hinter dem schimmernden Fluss und dem breiten Halbrund der Stadt glaubte er eine Bewegung wahrzunehmen. Eine lange, gebogene Linie, die sich bewegte und langsam auf Adua zuhielt.
Einer der Offiziere senkte sein Fernrohr. »Berittene! Das ist die Reiterei der Union!«
»Sind Sie sicher?«
»Die Truppen!«
»Sie kommen zwar spät«, brummte Varuz, »sind aber deswegen um nichts weniger willkommen.«
»Ein Hoch auf Marschall West!«
»Wir sind gerettet!«
Jezal war nicht in der Stimmung, Freudenschreie auszustoßen. Hoffnung war natürlich etwas Schönes, und lange hatten sie davon wenig genug gehabt, aber zum Feiern war es noch viel zu früh. Er ging zurück zur anderen Seite des Turms und sah finster nach unten.
Noch mehr Gurkhisen strömten auf den Platz vor der
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