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Koenigsmoerder

Koenigsmoerder

Titel: Koenigsmoerder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Miller
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Willen in den Zirkel gebracht hatte.
    Gegen alle Familienbande. Gegen die Stimme in ihrem Herzen, die weinte: Nein.
    Tu es nicht. Wähle einen anderen.
    Sie hatte es nicht getan. Konnte es nicht tun. Wie Dathne, wie ihr Neffe Rafel war sie als Werkzeug der Prophezeiung erwählt worden. Sie mochte von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang mit dem Schicksal hadern, aber es änderte nichts. Rafel war Teil des Musters, Teil der Prophezeiung. Und so hatte sie ihn zu sich gerufen, und er war willig gekommen. Hatte sich ihre fantastische Geschichte über Omen und Versprechungen und die Träume toter Männer angehört und gelächelt.
    »Natürlich werde ich dir helfen, Veira. Was soll ich tun?«
    Zu dem Zeitpunkt hatte sie es nicht gewusst und konnte ihm nichts erzählen.
    Jetzt, da sie eine Ahnung hatte... Sie konnte sich nicht dazu überwinden, den Gedanken zu Ende zu denken.
    Aus dem Hühnerstall draußen im Hof ertönte das Gackern der Hennen und das kraftvolle Krähen des Hahns. Als sie den Kopf hob, stellte sie fest, dass der Himmel draußen heller geworden war. Dass zaghafte Sonnensänger in den Blättern des Waldes im Chor zwitscherten. Es war Tag, und sie musste gewisse Aufgaben erledigen. Entscheidungen treffen. Pläne ersinnen.
    Der Prophezeiung gehorchen.
    Sie war dreiundsechzig Jahre alt und der Prophezeiung beinahe müde.
    Ihr größtenteils unangerührter Tee war inzwischen kalt geworden.
    Naserümpfend kippte sie ihn in den Ausguss, dann schlich sie in ihr Schlafzimmer zurück. Zog dickere Socken und zusätzliche wollene Unterwäsche an und nahm ihren Mantel von seinem Haken auf der Rückseite der Tür.
    Matthias würde bald aufstehen und
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    Dathne vielleicht ebenfalls. Sie war noch nicht bereit, ihnen gegenüberzutreten.
    Ein Spaziergang durch den Wald war genau das, was sie jetzt brauchte.
    Einsamkeit, um Herz und Willen zu stärken. Sie würde die Schweine mitnehmen.
    Schweine waren gute Zuhörer, und sie gaben niemals Widerworte.
    Als Asher sich wieder rührte, ging gerade die Sonne auf, deren winterliche Strahlen seinen ausgekühlten, steifen Körper kaum wärmten. Er hatte den Punkt, an dem Annehmlichkeiten wie Privatsphäre oder Schamgefühl noch eine Rolle spielten, weit hinter sich gelassen und pisste ins Stroh. Die wenigen noch verbliebenen gelben Halme färbten sich rosig.
    Auf dem Platz regte sich die kleiner gewordene Menge, murmelte und stampfte mit den Füßen. Einige halbherzig geworfene Eier zerbrachen auf dem Dach des Käfigs. Diese waren ganz und gar nicht faul. Hellgelbes Eigelb tropfte auf sein Gesicht. Er öffnete seinen ausgedörrten Mund und schluckte, weil sein Magen leer war und knurrte. Dieser kleine Akt der Selbsterhaltung erzürnte sein Publikum. Jemand schrie. Ein anderer warf einen Stein. Zwei Steine. Vier. Fünf.
    Einer traf ihn und fügte ihm eine blutende Wunde zu. Er warf den Stein fluchend zurück.
    Kaum hatte er sich versehen, hagelte es Steine, bis die Wachen eingriffen und dem Treiben Einhalt geboten. Nicht aus Mitgefühl; sie wollten nur keinen Unfall, der die mit Leidenschaft erwartete Enthauptung verhinderte. Genauso wenig wollten sie, dass sie versehentlich selbst getroffen wurden.
    Schwebend auf einem sich ständig verlagernden Meer von Erinnerungen, eingehüllt in eine scharfe Glasdecke aus Schmerz, ließ Asher sich treiben und betete, dass er, wenn er das nächste Mal die Augen aufschlug, tot sein würde.
    Gar wurde vom Klirren der Vorhangringe auf ihren dicken Messingstangen und einer unwillkommenen Stimme geweckt. »Eure Hoheit? Eure Hoheit.«
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    Er drehte den Kopf auf dem Kissen und runzelte die Stirn. Was? Irgendetwas stimmte nicht. Seit wann war sein Kissen aus Holz? Irgendjemand war in sein Schlaf gemach geschlichen und hatte sein Kissen in Holz verwandelt. Und dann hatte er es flach gedrückt ...
    Er öffnete die Augen und blinzelte in den bleichen, morgendlichen Sonnenschein, der wie Gaze über seinem Gesicht lag. Oh. Er war nicht in seinem Schlafgemach, sondern in seiner Bibliothek. Das Kissen war tatsächlich sein Schreibtisch, an dem er irgendwann im Laufe der Nacht eingeschlafen war, während er seine Suche nach Barls Tagebuch fortgesetzt hatte.
    Seine fruchtlose Suche. Wenn es das Tagebuch tatsächlich gab, hatte er es unter Durms Büchern nicht gefunden. Es musste in Durms Arbeitszimmer sein. Falls es existierte...
    Langsam kamen ihm Zweifel daran. Er begann zu glauben, dass das Tagebuch nichts war als eine Ausgeburt von Durms sterbendem Geist.

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