Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Können diese Augen lügen?

Können diese Augen lügen?

Titel: Können diese Augen lügen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Larkin
Vom Netzwerk:
sich ziehen würde. Danach hörten wir nie wieder etwas von ihm.
    Als meine Mutter nach jahrelangem Besuch einer Abendschule ihren Collegeabschluss als Kunstlehrerin machte, erhielt sie von Diane eine Glückwunschkarte und einen Scheck, der das ganze Studium, all die Hausaufgaben und die Mühe, die sie aufgewandt hatte, hinfällig werden ließ. Dieser Bonus und die Gehaltserhöhung, die Diane ihr in Aussicht stellte, überstieg das, was ihr ihre Lehrtätigkeit einbringen würde, bei Weitem.
    » Das macht nichts, Mom«, sagte ich damals zu ihr. » Lehrer verdienen doch auch nicht schlecht, nicht wahr? Wir kommen schon zurecht. Wir müssen nicht unbedingt in einem großen Apartment wohnen.«
    Meine Mom wirkte gebrochen. Sie saß da und fuhr mit dem Finger über die sich von Blau zu Lila verfärbenden Buchstaben, die ihren Namen bildeten. Natalie Mavis Leone.
    » Du kannst sie nicht kaufen, Diane!«, hatte ich gebrüllt und dabei daran gedacht, wie oft ich meine Mutter nach einem langen Arbeitstag mit ihren Büchern in der einen und dem Erdnussbuttersandwich, das sie als Abendessen bezeichnete, in der anderen zur Tür hatte hetzen sehen, damit sie nur ja nicht zu spät kam. Sie hatte lange und hart für diesen Abschluss geschuftet, und ich hasste Diane dafür, dass sie ihren Traum zunichtemachte. » Du kannst uns nicht kaufen!«
    Diane saß an ihrem Toilettentisch und nahm einen tiefen Zug von ihrer Zigarette. Sie sprach, ohne Luft zu holen. » Ja, ich weiß, ich bin eine furchtbare Person– wie komme ich nur dazu, meiner Haushälterin einen Bonus zu zahlen und dann auch noch ihr Gehalt zu erhöhen?« Nach diesen Worten stieß sie den Rauch aus und wedelte ihn fort.
    » Du kannst uns nicht kaufen«, wiederholte ich, da mir kein besseres Argument einfiel.
    » Du kostest sie viel Geld, Vannie.« Diane lachte. » Das tun Kinder immer.« Sie benutzte den Spiegel, um Blickkontakt mit mir herzustellen, während sie ihr Haar zu einem französischen Knoten aufsteckte. » Du brauchst Essen und Kleider. Und dann gehst du irgendwann einmal in die Welt hinaus und suchst dir einen guten Job, doch das geht nur, wenn du ein College besuchst. Deine Mutter kann all das nicht von dem Gehalt einer Aushilfslehrerin finanzieren.« Sie befestigte eine lose Strähne mit einer Haarnadel. » Ich halte das, was ich getan habe, für eine gute Sache.« Ihr Lächeln besagte, wie dumm es von mir war, in diesem Punkt anders zu denken. » Es wird ihr eine große Hilfe sein.«
    Also verzichtete meine Mutter auf ihren Traumjob an der Rye Country Day School, und ich besuchte dank eines Teilstipendiums und der Unterstützung der Familie Driscoll die Universität von Rochester.
    Ich fand ein Paar Omaunterhosen mit vergilbtem Gummizug, einen alten grauen Sport- BH und ein Paar braun und beige gestreifte Socken mit identischen Löchern an den großen Zehen. Der Schrank war fast leer, nur eine zusammengefaltete Jeans lag auf dem obersten Regal. Ich nahm sie heraus. Sie stammte aus einer kurzen, aber unvergessenen und wilden Phase meiner Highschoolzeit. Unter dem Knie prangte ein Loch, ein zweites, mit einem schwarzen Schnürsenkel grob geflicktes direkt unterhalb des Hinterns. Ich zwängte mich in die Hose. Sie fühlte sich kalt an, und die Nähte krachten. Zwar passte sie noch, saß aber jetzt wesentlich enger um die Hüften als früher.
    Die Notwendigkeit zwang mich, mein Schlafzimmer zu verlassen, denn ich konnte kein Shirt finden. Die Badezimmertür stand offen.
    » Diane?«
    Keine Antwort. Ihr Mantel hing nicht mehr über der Couchlehne.
    Ich trat an das Küchenfenster und sah Diane raschen Schrittes auf das Haupthaus zusteuern. Ihr Kamelhaarmantel war offen und wehte hinter ihr her.
    Auf der Küchentheke lag ein Umschlag mit der Aufschrift ›Savannah Leone ‹ in Dianes kühner Handschrift. Die Rückseite war mit einem silbernen, diamantförmigen Aufkleber mit einem kunstvoll verschnörkelten D darauf versiegelt. Ich fuhr mit dem Finger unter die Klappe. Das Siegel ließ sich abheben, zerriss aber nicht. In dem Umschlag befand sich ein Bankscheck über einhundertfünfundsiebzigtausend Dollar.
    Ich zog ihn heraus und betrachtete ihn. Er war blau und mit einem Wasserzeichen versehen. In die linke obere Ecke waren wie das Gebälk eines alten römischen Palastes die Worte ›Manhattan Savings Bank ‹ gedruckt. Der Scheck war in schlichten Großbuchstaben, die sich von Blau zu Lila und dann zu Rot verfärbten, auf mich, Savannah Marie Leone, ausgestellt.

Weitere Kostenlose Bücher