Können diese Augen lügen?
fahren. Ich muss nämlich morgen arbeiten.«
» Na schön, dann wasch du dich, und ich übernehme das Reden.« Ihre Stimme klang plötzlich gebieterisch. Sie spähte hinter dem Rand des Duschvorhangs hervor. » Das nennt man Arbeitsteilung, Savannah.«
Ich zog den Vorhang ganz zu, schöpfte eine Handvoll Schaum aus dem Wasser und klatschte in die Hände. Ein Schaumklecks landete auf meiner Nase. Es war schwierig, sich darauf zu konzentrieren und noch schwieriger, daran vorbeizuschielen.
» Du lebst jetzt schon eine ganze Weile in Rochester, nicht?« Diane tippte mit ihren falschen Fingernägeln gegen das Waschbecken.
Ich verdrehte die Augen, um die auf meiner Nase zerplatzenden Bläschen zu beobachten.
» Und?« Ich wischte den Rest des Schaums weg.
» Ich habe dich eigentlich nie als einen Menschen eingeschätzt, der sich im Norden wohlfühlt– ich dachte immer, du würdest einmal in London oder Paris wohnen. Oder wenigstens in einem Loft in Soho. Aber nicht in Rochester.«
» Diane…«
» Warum bleibst du überhaupt dort? Ich meine, es ist ja nicht so, dass du da Familie hast. Und was Freunde betrifft– Peter und Janie haben Peters Familie. Peter hat die Kanzlei seines Vaters. Für sie gibt es Gründe, da oben zu leben. Für dich nicht.«
» Ich habe meinen Job, und es ist ja auch nicht so, als ob ich hier Familie hätte.«
» Du hast keinen richtigen Job«, fauchte Diane. Sie hatte noch nie verstanden, was ich eigentlich tat. Von zu Hause aus zu arbeiten und Sweatshirts statt Hosenanzüge oder Kostüme zu tragen, nahm meiner Tätigkeit in ihren Augen jegliche Legitimität. Nachdem Janie ihr erzählt hatte, dass ich begonnen hatte, freiberuflich als Subventionsberaterin zu arbeiten, hinterließ mir Diane eine zwanzigminütige Predigt über die Vorteile eines guten, sicheren Bürojobs auf dem Anrufbeantworter. Absolut unsinnig, da sie nie einen ausgeübt hatte. Sie hatte Charles im Sommer zwischen ihrem zweiten und vorletzten Jahr an der Manhattanville-Universität kennengelernt, als sie im Larchmont-Jacht-Klub gekellnert hatte, war mit Janie schwanger geworden, hatte ihn trotz des Widerstands von Charles ’ Eltern geheiratet und danach nie wieder einen Tag lang gearbeitet.
» Ich habe sehr wohl einen richtigen Job«, widersprach ich trotzig, wobei ich mir wie ein gescholtenes Kind vorkam und versucht war, du alte Giftspritze hinzuzufügen.
» Du hast kein eigenes Büro.«
» Ich habe mir in Rochester einen ziemlich großen Kundenkreis aufgebaut, Diane. Ich bin fest etabliert.«
Diane hörte auf, das Waschbecken mit ihren Nägeln zu malträtieren. » Aber du musst doch furchtbar einsam sein.« Sie zog das Wort bewusst in die Länge. » Ich meine, du kennst da oben doch eigentlich niemanden mehr. All deine Freunde von früher müssen inzwischen weggezogen sein.« Das Getrommel setzte wieder ein. » Janie und Pete werden mit ihrem Haus und all dem beschäftigt sein. Kinder bekommen. Verheiratete wollen keine ledigen Freunde um sich haben, Van. Ihr habt nichts mehr gemeinsam, und ich weiß, dass du dich nicht als fünftes Rad am Wagen fühlen willst.«
Hinter dem schützenden Duschvorhang zeigte ich ihr einen Vogel, dabei verursachte ich mit den Füßen kleine Wellen, die gegen den Wannenrand schlugen.
» Was treibst du da drinnen eigentlich?«, erkundigte sie sich.
Ich gab keine Antwort. Sie schwieg ebenfalls. Bis auf das Plätschern meiner Wellen war kein Laut zu hören. Endlich ergriff ich das Wort, bevor sie es tun konnte.
» Ich versuche, ein Bad zu nehmen, damit ich nicht acht Stunden im Auto sitzen und wie eine Schnapsbrennerei stinken muss.« Ich hüstelte leise. » Nichts für ungut.« Über derartige Dinge hatten wir früher gemeinsam gelacht, aber jetzt reagierte Diane nicht. » Was willst du denn nun von mir?«, fragte ich resigniert.
» Ich möchte verhindern, dass du auf der Strecke bleibst, Van. Vielleicht ist es an der Zeit, dass du einen neuen Anfang wagst. Jemanden kennenlernst. Irgendwo anders ein neues Leben beginnst.«
» Wie meinst du das?«
» Wir haben seit der Beerdigung nicht mehr richtig miteinander geredet«, erwiderte sie.
» Hmm, ich hatte viel zu tun.« Ich betete, dass sie das Thema wechseln würde. Ich konnte nicht mit ihr darüber sprechen. Es ging einfach nicht.
» Deine Mutter hat dir etwas Geld hinterlassen, musst du wissen.«
» Meine Mutter hatte kein Geld.« Das Wasser begann, kalt zu werden, aber ich wollte nicht aus der Wanne steigen und mich aus dem
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