Köpfe
wir das Ganze dann ad acta legen.«
Fiona Task-Felder hätte sich äußerlich kaum mehr von ihrer Assistentin unterscheiden können. Sie war grauhaarig, Ende der Sechzig, mit einem muskulösen Körperbau, der viele Stunden eifriger Gymnastik ahnen ließ. Unter der kurzen Amtskette mit dem Siegel trug sie bequeme Freizeitkleidung aus Stretch-Material. Sie wirkte energiegeladen und freundlich und mütterlich, und sie war eine gutaussehende Frau, aber auf natürliche Weise, ganz das Gegenteil von der einstudierten, künstlichen Härte der Granger.
Gegen mein besseres Wissen sagte ich: »Na gut. Ich versuche zu antworten, so gut ich kann…«
»Warum ist Ihre Schwester so scharf auf diese Köpfe?« fragte die Präsidentin.
»Das haben wir bereits erklärt.«
»Mit Ihrer Erklärung war niemand zufrieden, außer vielleicht Sie selbst. Ich habe erfahren, daß Ihre Großeltern – Verzeihung, Ihre Urgroßeltern – darunter sind. Ist das der einzige Grund?«
»Ich halte dies nicht für den richtigen Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren, nicht ohne die Anwesenheit meiner Schwester, und schon gar nicht ohne unseren Direktor.«
»Ich bemühe mich sehr zu begreifen, Mr. Sandoval. Ich finde, wir sollten ganz locker miteinander umgehen, ohne die Einmischung von Assistenten und Syndikussen, und schnell zu einer Klärung kommen, bevor jemand anderes die Dinge vollkommen aus dem Gleis laufen läßt. Ist das möglich?«
»Ich denke, Rho könnte erklären…«
»Schön, dann bringen Sie sie her.«
»Es tut mir leid, aber…«
Sie betrachtete mich mit einem Ausdruck mütterlicher Ratlosigkeit, als wäre ich ein ungeratener Sohn – oder ein widerspenstiger Geliebter. »Ich biete Ihnen eine seltene Gelegenheit. Im alten lunaren Geist des ›Einer gegen Einen‹, lassen wir die Politik aus dem Spiel. Ich glaube, wir können uns einigen. Wenn wir schnell sind.«
Ich fühlte mich vollkommen überfordert. Es wurde von mir verlangt, daß ich von der offiziellen Vorgehensweise abwich… daß ich eine sofortige Entscheidung traf. Ich wußte, daß es nur einen Weg gab, dieses Spiel zu spielen, nämlich die unausgesprochenen Regeln zu mißachten.
»Na gut«, sagte ich.
»Ich habe einen Termin frei am Dritten um zehn Uhr. Paßt Ihnen das?«
Das war in drei Tagen. Ich rechnete schnell; dann wäre ich schon wieder zurück in der Eisgrube, und das bedeutete, daß ich für den Flug eigens ein Sondershuttle mieten mußte. »Ich komme«, sagte ich.
»Ich freue mich darauf«, sagte die Task-Felder und ließ mich allein in dem Gästezimmer zurück, um über meine Aussichten nachzudenken.
ICH BRACH DIE UNAUSGESPROCHENEN REGELN des Spiels nicht. Ich sprach nicht mit Thomas Sandoval-Rice. Ich erzählte auch Rho nichts von meinem Vorhaben. Bevor ich von Port Yin aus die Heimreise zur Eisgrube antrat, buchte ich ein außerplanmäßiges Rundflugshuttle, wobei ich eine große Summe Sandoval-Geldes für einen einzigen Passagier ausgab und froh darüber war, daß ich dank meiner Position in der Station den Flug nicht im Detail begründen mußte.
Ich bezweifelte, daß Thomas oder Rho ausgerechnet in der Zeit meiner Abwesenheit nach mir suchen würden; sechs Stunden Hinflug, einige Stunden Aufenthalt dort, sechs für den Rückflug. Ich könnte über den Auftragsdienst Botschaften für jeden Anrufer hinterlassen, einschließlich Rho oder Thomas oder – um einiges unwahrscheinlicher – William.
Bis zum heutigen Tag spüre ich eine übelkeitserregende Verkrampfung des Magens, wenn ich mich frage, warum ich nicht meiner ursprünglichen Eingebung gefolgt bin und Thomas vom Anruf der Präsidentin erzählt habe.
Ich denke, vielleicht lag es an meinem jugendlichen Ego, das durch Thomas Rüge verletzt war; dieses Ego und dazu eine seltsame Genugtuung darüber, daß die Ratspräsidentin mich persönlich empfangen würde, einiges von ihrer Zeit opfern wollte, um mit jemandem zu sprechen, der nicht einmal Syndikatsassistent war. Mit mir. Um mit mir zu sprechen.
Ich wußte, daß ich mich nicht so verhielt, wie ich mich verhalten sollte, aber wie eine Maus, die von einer Schlange hypnotisiert ist, verwarf ich alle Bedenken – eine Neigung, die, wie ich inzwischen erfahren habe, nicht nur mir allein zu eigen ist. Eine Neigung, die bei einigen Mondbürgern gang und gäbe ist.
Wir rufen gewohnheitsmäßig aus: »Lassen wir die Politik aus dem Spiel.« Doch die Herausforderung und die Verlockungen der Politik verführen uns immer wieder aufs neue.
Ich
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