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Köpfe

Köpfe

Titel: Köpfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ungeachtet dessen glitt ich weiter dahin in Richtung Büro der Ratspräsidentin, und zu meiner Verteidigung muß ich anführen, daß meine Selbstsicherheit noch immer meine Zweifel überwog. Im großen und ganzen fühlte ich mich eher zuversichtlich als beunruhigt.

    Es ging um Politik. Meine gesamte Erziehung hatte in mir das Bewußtsein für das kleinkarierte Wesen der lunaren Politik tief verwurzelt. Ratsbeamte fungierten lediglich als Sekretäre für einen Haufen von geschäftlich verbandelten Familien, die alle vom selben Schlag waren, zuständig für die i-Tüpfelchen und t-Querstriche der Regeln der Zusammenarbeit, die wahrscheinlich ohnehin jeder befolgt hätte, schon aus reiner Höflichkeit und um des gegenseitigen Wohlergehens willen.
    Die meisten unserer Vorfahren waren von der Erde exportierte Ingenieure und Bergleute gewesen; konservativ und unabhängig, jeder Autorität gegenüber argwöhnisch, felsenfest davon überzeugt, daß große Gruppen von Menschen durchaus ohne die Schichten der Regierungsbeamten und der Bürokratie in verhältnismäßigem Frieden und Wohlstand leben können.
    Meine Vorfahren arbeiteten daran, das natürliche Wachstum dieser Schichten zu unterbinden: »Lassen wir die Politik aus dem Spiel!« lautete ihr ständiger Ruf, gefolgt von Kopfschütteln und Stirnrunzeln. Politische Organisationen waren von Übel, eine stellvertretend die Interessen des Volkes wahrnehmende Regierung ein Schwindel. Warum sollte das stellvertretend geschehen, wenn man es persönlich erledigen konnte? Halten wir die Dinge klein, direkt und unkompliziert, so glaubten sie, dann ergibt sich die Freiheit von selbst.
    Sie konnten die Dinge nicht klein halten. Der Mond war bereits in solchem Maße gewachsen, daß die Schichten der Regierungsbeamten und Volksvertretungen nötig waren. Doch wie mit dem sexuellen Verhalten bei einigen Kulturen auf der Erde vergleichbar, bedeutete die Notwendigkeit noch lange keine Garantie für Verantwortung und planvolles Handeln.
    Von Anfang an hatten unsere führenden Familien und Gründer – einschließlich, wie ich leider sagen muß, Emilia und Robert – die Mondverfassung nach Belieben verbogen, sofern man das zusammengeflickte Machwerk aus Überlieferungen und Stations-Chartas überhaupt als Verfassung bezeichnen konnte.
    Als komplizierte Organisationen ins Leben gerufen wurden, geschah das planlos, ohne Begeisterung, undiszipliniert. Als die Spaltung unsere wirtschaftlichen Versorgungsverbindungen zur Erde kappte und als die ersten Multiplen Bünde auftauchten, war der Mond ein Reservoir von naiven, willfährigen Trotteln, die mit Glück gesegnet waren – zumindest am Anfang. Die Multiplen Bünde waren keine politischen Organisationen – es waren geschäftlich verknüpfte Familien, die Erweiterung von Individuen, so sagten die Lunaren. Die Mondbürger sahen nichts Unrechtes an Familiengruppierungen oder sogar Syndikaten; sie sahen nichts Unrechtes an den umfassenden Strukturen der Multiplen Bünde, denn irgendwie waren sie nicht mit Regierungen zu vergleichen.
    Als die Multiplen Bünde Büros für die gegenseitige Zusammenarbeit einrichten mußten und sich auf Gesetze, geschriebene und ungeschriebene, einigten, um Reibungen zu verhindern, hatte das nichts mit Regieren zu tun, es war reine Zweckmäßigkeit. Und als die Multiplen Bünde einen Rat bildeten, nun ja, das war auch nichts Schlimmeres, als wenn Geschäftsleute zusammenkamen und verhandelten und individuelle Übereinkünfte trafen. (Dieser widersinnige Ausdruck – individuelle Übereinkünfte – war damals tatsächlich etwas Alltägliches.) Der Rat der Multiplen Bünde war nichts anderes als ein Komitee zur Verminderung von Reibungen zwischen den Geschäftssyndikaten – anfangs. Es war eine dekorative und schwache Organisation.
    Wir waren immer noch unschuldig und wußten nicht, daß der Preis der Freiheit – und der Individualität – die Beachtung der Politik ist, sorgsames Planen, sorgsames Organisieren; die Philosophie ist keine wirksamere Schranke gegen die politische Katastrophe als gegen die Pest.
    Halten Sie mich ruhig für naiv; ich war naiv. Wir alle waren es.

DIE BÜROS DER RATSPRÄSIDENTIN lagen in einem Anbau des westlichen Wohnbereichs von Port Yin; man könnte also sagen, in einem Vorort, weg vom Zentrum der MB-Geschäftigkeit, wie es für eine politische Einrichtung angemessen war. Die Büros waren zahlreich, aber nicht übertrieben aufwendig; das Syndikat so manches kleinen MB stellte mehr

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