Körper-Haft (German Edition)
aber fremde Gedanken wie einen leisen, kalten Hauch an mir vorbeistreichen. Wirr. Boshaft. Und vor meinem inneren Auge entstand das klare Bild eines Vogels aus Blech mit Plastikfüßchen und dem Aufziehrad eines Uhrwerks.
Mosquito schwankte einen Augenblick, als wäre er betrunken, und schaute sich verwundert um. Dann wandte er sich an Doktor Gregor, der immer noch vor sich hin murmelte: »Mit wem reden Sie denn da, Herr Doktor? Der versteht doch eh kein Wort, solange er im Reich der Narkose ist!«
»Da bin ich mir gar nicht so sicher, außerdem verschafft es mir selbst Klarheit und ordnet meine Gedanken.«
»Sie meinen, Sie führen Selbstgespräche?«
»Ja, in der Tat, das tue ich.«
Mit deutlich abfälliger Stimme entgegnete Mosquito: » Ja, das tue ich auch immer, wenn kein adäquater Ansprechpartner im Raum ist, hähä!«
Doktor Gregor drehte sich ruckartig um, sah Mosquito durchdringend an und sagte mit einer eisigen, schneidenden Stimme: »Ja, das könnte die Lösung sein, wahrscheinlich nehme ich Sie wirklich nicht als adäquaten Ansprechpartner wahr! Wenn Sie auch nur irgendeinen Wert darauf legen, dass man Sie hier ernst nimmt, dann sollten sie ihre schnodderige und menschenverachtende Art noch einmal überdenken!«
»… und wenn nicht?«, fiel im Mosquito provokant ins Wort.
»Dann werde ich auf Ihre schnellstmögliche Versetzung drängen«, sagte Doktor Gregor und sah ihn ruhig an. »Und jetzt geben Sie mir bitte die Augenkompresse, wir haben hier schließlich noch andere Aufgaben!«
Mosquito blickte verdutzt drein und hatte wohl nicht mit dieser Gegenwehr gerechnet. Er senkte den Kopf in Demutshaltung, vielleicht war es aber auch nur ein kurzer Rückzug, um sich neu zu formieren und bei passender Gelegenheit zurückzuschlagen. Bei Mosquito wusste man nie, woran man war. Und wahrscheinlich ging es ihm selbst auch nicht anders.
Geile Ratte
Ich hatte mein Vorhaben, Herrn Neuner zu besuchen, in die Tat umgesetzt und war froh, dass er zumindest überlebt hatte. Es tat mir schrecklich leid, was ihm widerfahren war. Und insgeheim machte ich mir schwere Selbstvorwürfe, weil ich nicht früher den Notruf aktiviert hatte. Es war eigenartig, wie intensiv man sich für andere Menschen verantwortlich fühlte, nur weil man mit Ihnen den gleichen Raum und ein ähnliches Schicksal teilte.
»Der gleiche Raum … wie es wohl meinem Körper geht?« Ich dachte mich in unsere gemeinsame Zelle zurück und stand neben meinem Bett. Mein Körper lag friedlich da. Irgendwie sah er in diesem Zustand nicht ganz so eingefallen aus. Ich glaubte schon fast zufriedene Züge in meinem Gesicht zu erkennen, so als würde ich in mir selbst ruhen.
Bei meinen Selbstbetrachtungen über das Holo-Flat-Pad hatte ich so einen Ausdruck noch nicht bei mir entdeckt. Vielleicht lag es ja auch an dem erfolgreichen Experiment, das ich fast nebenbei absolviert hatte. Schließlich war ich von einem Zimmer ins andere gesprungen, ohne eine große Anstrengung zu fühlen.
Geht nicht, gibt’s nicht! Wenn das stimmte, dann konnte mich eigentlich nichts in meinem Freiheitsdrang aufhalten. Dieses Motto gab mir nicht nur Zuversicht – es machte mich geradezu glücklich! Lediglich, dass ich dabei meinen Körper ungeschützt zurücklassen musste, machte mir echte Sorgen. Und dass ich immer noch nicht wusste, wie weit ich mich von meinem Körper entfernen konnte oder durfte.
Sorgenvoll schaute ich meinen Körper an und versuchte mir dieses Bild zu verinnerlichen. So als wäre es das letzte Mal, dass ich ihn sah. Dann ging ich ans Fenster und schaute in den Gefängnishof, dessen Mauer von außen mit den hohen Platanen umrahmt war. Eine unnatürliche Landschaft, fast völlig ohne jeglichen Schatten, lag unter mir. Scheinwerfer, die an den Ästen befestigt waren, leuchteten das gesamte Areal aus und ließen jeden Schatten schmelzen, da sich die Lichtkegel von allen Seiten überlagerten. An allen vier Seiten der Gefängnismauer standen kleine Aufsehertürmchen mit verspiegelten Fenstern.
Ich fixierte das Türmchen, das am weitesten entfernt war. Dann holte mein Mobil-Ich tief Luft, blinzelte kurz und stand im nächsten Augenblick am Fuße des Aufseherhäuschens. Ich konnte mein Glück nicht fassen und ballte die Fäuste vor lauter Freude. »Ja! – Es hat funktioniert!« Ich drehte mich um und versuchte das Fenster meiner Zelle ausfindig zu machen. Es musste auf der Höhe der Baumwipfel liegen und hatte keine Gitterstäbe vor den Fenstern. Schließlich
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