Körper-Haft (German Edition)
meinen schmerzenden Rücken, den trockenen Mund und die schweren Augen. Gerade so als hätte ich eine Nacht lang durchgemacht. Und irgendwie war das ja auch der Fall. Ich war die ganze Nacht auf Tour gewesen, hatte mich durch meterdicke Steinmauern gedrückt … Kein Wunder, dass ich mich völlig stoned fühlte! Aber nicht einmal Selbstironie konnte meine Stimmung heben.
Ich war gestrandet wie ein Wal, dessen Ozean auf einen Schlag verdampft war. Gerade noch hatte ich gedacht, ich könnte unendliche Weiten in meiner neu gewonnen Freiheit durchqueren und erkunden. Doch jetzt hatte mich mein eigener Schwermut angepflockt wie ein Opferlamm, das darauf wartete, dass ihm die Gurgel durchgeschnitten wird.
Vorhin hatte ich noch von tollen Abenteuern geträumt, wie zum Beispiel mit meinem Banker in den Tresorraum zu gehen und zu schauen, was dort alles an kleinen bedruckten Papierstückchen lagerte. Papier, für das andere mordeten, sich selbst verkauften und sich Tag für Tag abrackerten, um Ihr Seelenheil im Konsum zu finden.
Ich war inzwischen besitzlos wie ein buddhistischer Mönch, wurde von der Allgemeinheit durch Spenden genährt, die ich weder kauen noch schlucken musste. Eine Magensonde und ein willenloser Körper halfen einem ungemein dabei, allem Weltlichen zu entsagen. Ich war wirklich verbittert und ließ mich von meinem Selbstmitleid aufsaugen wie von einem trockenen Schwamm. Ich hatte wirklich gedacht, ich hätte die Trennung von Tanja verkraftet, aber dem schien bei Weitem nicht so zu sein.
Ein Rumpeln riss mich aus meinen trüben Selbstbetrachtungen. Draußen dämmerte bereits der neue Tag. Die Tür ging auf und durch den Lichtspalt schob sich ein Bett herein. Herr Neuner war wieder da! Meine Stimmung hellte sich wieder auf. Es ging ihm anscheinend gut. Ich wollte nicht wissen, was er die letzten Stunden durchgemacht hatte und vermutlich auch weiterhin durchmachen musste.
Meine eigenen Sorgen verdampften wie das Wasser in einer Saline. Zurück blieb das Salz des Lebens – die Hoffnung und der Wille weiterzumachen! Eigenartig, wie intensiv einem das Leid Anderer vor Augen führen konnte, wie gut es einem doch ging. Man musste nur einen finden, dem es noch dreckiger ging! Er war bestimmt nicht draußen auf Tour gewesen, hatte mit einer kleinen Ratte Emotionen ausgetauscht und sich seinem eigenen Herzschmerz hingegeben. Er bangte um sein Auge, hatte vermutlich starke Schmerzen und haderte sicherlich in ganz anderer Art und Weise mit seinem Schicksal.
Auch wenn ich niederschmetternde Momente in meinem Leben gehabt hatte, so konnte ich doch auf mindestens genauso viele schöne Erlebnisse zurückblicken. Warum also all der Gram und Missmut? Selbst jetzt, in meinem unbeweglichen Körper, hatte ich einen Weg gefunden, mich im Geiste frei zu bewegen, wohin ich wollte! Und ich hatte dazu mehr Zeit als vorher, als die Arbeit Tage, Monate und Jahre regelrecht aufzufressen schien. Die sozialen Verpflichtungen, denen man glaubte folgen zu müssen … Man teilt zeit seines Lebens völlig unbedarft die eigene Lebenszeit mit anderen Menschen, die darum bitten, sie einfordern oder sie, ganz frech, einfach stehlen. Sie nehmen etwas, was sie nie wieder zurückgeben können – ein Stück von unserem Leben. Und oft für nur allzu belanglose Dinge wie Streitereien, Macht, Prestige, Geld oder sonstigen abstrusen Blödsinn.
Wenn es zum Beispiel um Grenzstreitigkeiten oder einfach nur darum geht, Recht zu haben, investieren wir unsere Zeit mit offenen Händen, wenn wir jedoch nach dem Sinn unseres Daseins fragen, wenden wir nur einen Bruchteil davon auf.
Ich hatte meinen inneren Frieden und meine Ruhe wieder gefunden. Innerlich zufrieden kuschelte ich mich in meinem Körper wie in einer Decke ein und fühlte mich irgendwie … daheim.
Reisebeschränkung
Ich musste wohl mit diesem wohligen Gefühl eingeschlafen sein. Ich war zwar allein, aber immerhin hatte ich ja noch mich. Meine Erinnerungen, meine Gedanken und die wundervolle Gabe, mit meinem Geist überall dorthin zu gelangen, wo ich hinwollte. Einfach an das wohltuende Gefühl denken, wie Tanja mir meinen Rücken massierte und zack war ich auf der Zwischenebene. Ein Geräusch, wie wenn die Nadel eines Vinyl-Plattenspielers quer über die Scheibe kratzt, schreckte mich in meinem Traum auf. Ich sah, wie sich die Hände von Tanja über den Rücken eines anderen bewegten und liebevoll massierten.
»He, das sind meine Hände! Die gehören auf meinen Rücken!« Diese
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