Körper-Haft (German Edition)
aufgehoben. Innerlich triumphierend stellte ich mein Holo-Flat-Pad auf Buddhismus ein, ohne jedoch zu wissen, ob dies tatsächlich die gewünschte Erleichterung bringen würde.
Mein Nachbar, der Brandstifter, zeigte seine Dankbarkeit völlig anders. Er ließ die Einstellung tatsächlich auf Christentum, zumindest für den Moment.
An diesem Tag war kein Zwangsprogramm angesagt und das war schön. Wie ich feststellen sollte, war jedes Wochenende frei und man konnte seinen Hobbys nachgehen. Wobei »nachgehen« alles andere als ein treffender Ausdruck war, genauso wie auch »Hobbys« in unserer Situation einen zynischen Beiklang hatte.
Mein Rücken schmerzte nach wie vor, es war keinerlei Erleichterung in Sicht. Gefangen sein ist eine Sache, aber im eigenen Körper gefangen sein eine völlig andere. Manchmal weiß man wirklich nicht, ob alles um einen herum die Realität ist oder es sich um irgendwelche Hirngespinste oder einen Traum handelt. Man hat keine Möglichkeit, es zu überprüfen.
Jegliche Interaktion funktionierte nur über den Fernseher an der Decke. Das Fenster zur Welt! Und was für eines! Ich selbst hielt mich eigentlich für einen etwas introvertierten Typ. Aber völlig ohne Gespräche, ohne Anregungen von Außen trocknet die Seele aus. Sie wird dürr, staubig und bekommt im Laufe der Zeit immer mehr Risse.
Kein Gespräch, nicht einmal laute Selbstgespräche waren möglich. Nur der Dialog mit sich selbst im Geiste. Und dabei begab man sich ständig in die Gefahr, ein dauerhaftes zweites »Ich« zu kreieren, nur um einen adäquaten Gesprächspartner zu haben. Ganz nach dem Motto: Wenn sonst schon keiner mit mir spricht, möchte ich mich wenigstens mit einem meiner Egos unterhalten können.
Nicht einmal das ruhelose Auf- und Ablaufen eines Tigers im Käfig konnte ich imitieren. Da hatte es der Mann mit der eisernen Maske aus Alexandré Dumas Roman richtig gut gehabt. Der konnte mit seinem Blecheimer auf dem Schädel wenigstens hin- und herlaufen und zur Aggressionsbewältigung irgendetwas umtreten, was im Weg herumstand.
Ich hingegen lag wie einbetoniert in meinem Körper und beneidete den Mann mit der eisernen Maske auch darum, dass er kleine Notizen in die steinernen Wände seiner Zelle hatte ritzen können. Kleine Gedächtnisstützen, denn wenn man lange mit sich alleine ist, wird das Wissen schwammig und die Wahrheit wächsern und man ändert sie gerne in die Form, wie man sie gerne hätte. So wie sie nach längerem hin- und herschieben am plausibelsten aussieht. Selbst die düstersten Varianten der Phantasie werden so stark verändert, dass die Farbe Schwarz noch düsterer wird. Doch der Wahrheitsgehalt wird immer schwammiger und diffuser. Am Ende werden (wie in der Farblehre) selbst alle Grundfarben Gelb, Blau und Rot nach dem Zusammenmischen wieder schwarz. Wenn auch ein sehr unsauberes Schwarz …
Ich hatte keinerlei Möglichkeit, irgendwelche Notizen in Stein zu ritzen oder sonst irgendwie Aufzeichnungen zu machen. Ein Tagebuch oder auch nur ein Terminkalender ermöglichte es, sein Leben zu dokumentieren. Um mich herum schien nur eine Welt zu existieren, deren Wahrheitsgehalt ich nicht überprüfen konnte. Ich hatte keinerlei Möglichkeit etwas schriftlich zu fixieren – weder auf einem Stück Papier noch in elektronischer Form. Ich hatte nie geglaubt, dass ich das Schreiben so vermissen würde. Was war das Leben wert, wenn man seine eigene Existenz nicht dokumentieren und damit dingfest machen konnte. Man gab mir viele bunte Programme und Bilder, aber nichts womit ich der Wirklichkeit nachspüren konnte. Das vermutlich wichtigste Werkzeug zum Überleben besaß ich selbst. Es war das Kino in meinem Kopf. Oder, wie ich es für mich nannte: das vielleicht kleinste Kammerspiel der Welt.
Die Schwermut hatte mich wieder hinuntergezogen in den Sumpf des Selbstmitleides. Schwermut ist wie ein Moor, geboren aus Angst, Verfall und Tod. Solange man an der Oberfläche wandelt, hat alles seinen morbiden Reiz und sieht in der Nachmittagssonne gar schön, zart und zerbrechlich aus. Doch wenn die Dämmerung hereinbricht und man vom Pfad abkommt, sackt man zuerst bis zu den Knöcheln ein und die feuchte Kälte kriecht die Knochen hinauf. Die Kälte fängt an, einen zu lähmen. Langsam sinkt man immer tiefer und mit jedem Zentimeter abwärts verliert man die Kraft dagegen anzukämpfen …
Erschrocken über mich selbst sprang ich im Geiste wieder zurück auf den Pfad und rannte der Sonne hinterher. Ich war
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