Körper-Haft (German Edition)
aber vielleicht auch das Glück, dass ihn alle Fliegen mögen und er sie alle gemeinsam auf der eigenen Nasenspitze beobachten kann. Vielleicht könnt ihr sie ja nach einer Weile an ihrer Augenfarbe unterscheiden!
Ist das nicht toll? Jeder von Euch ist mal die Hauptperson bei diesem Spiel – er weiß nur nicht wann! Ihr sitzt sozusagen in der ersten Reihe und ich sorge dafür, dass ihr die besten Plätze bekommt! Außerdem seid ihr jetzt auch nicht mehr so allein. Wenn euch schon keiner besuchen kommt! Ihr scheint ja fast so viele Freunde zu haben wie ich, hihi.«
Autsch, das saß! Es war bisher wirklich noch niemand zu Besuch gekommen. Weder bei mir noch bei den anderen!
Mosquito fuhr fort: »Und passt gut auf euch auf, Ihr sterbt ja wie die Fliegen! Nr. 6 hat letzte Nacht auch seinen Abflug getätigt. Hat ihm hier wohl nicht so toll gefallen. Aber irgendwie kann ich ihn ja verstehen, ihr seid schon ein todlangweiliger Haufen. Ihr kriegt ja nicht mal ‘nen Skat oder gar ‘ne ordentliche Gefängnisschlägerei hin! Aber jetzt lasse ich euch mit euren neuen Freunden allein, ich bin sicher, das bringt etwas Abwechslung in euren tristen Alltag. Tierbeobachtung ganz aus der Nähe! Na, dann viel Spaß!«
Er schob sein Servicewägelchen zur Tür und grinste zufrieden, als er bemerkte, dass Nr. 2 und Nr. 4 bereits auf ihre Nasenspitzen schielten, da sie als erste Freundschaft mit unseren Gästen geschlossen hatten. Mosquito ließ uns mit den vier Quälgeistern alleine. Er schien genau zu wissen, was einen in dieser regungslosen Lage in den Wahnsinn treiben konnte … und was der Wahnsinn kostete.
Nein, Wahnsinn konnte man nicht kaufen … man musste ihn sich mühsam erarbeiten! Wahnsinn kostet den Verstand – doch dafür muss man ihn mühevoll und Stück für Stück gegen das eintauschen, was man für die Realität gehalten hatte. Meine Stimmbänder produzierten ein Gurgeln und ein dumpfes inneres Lachen echote durch meinen Körper. Es war ein Lachen, wie man es in einem dunklen, miefigen und durch seine Schwärze unendlich wirkenden Gewölbekeller erwartet. Vielleicht hatte ich in meiner Jugend zu viel Edgar Allen Poe gelesen, aber ich fühlte mich wie lebendig eingemauert und merkte in Gedanken, wie die ersten Spinnen über mich krochen, um langsam Besitz von mir zu ergreifen … um mich einzuspinnen!
Es dauerte tatsächlich nicht lange und auch ich bekam Besuch von einer Fliege. Sie setzte sich direkt auf meine Nasenspitze und kitzelte mich wie verrückt mit ihren kleinen Füßchen. Ich schielte auf meine Nasenspitze, um zu sehen, ob sie tatsächlich eine eindeutig erkennbare Augenfarbe hat. Ich musste jedoch schnell erkennen, dass so ein Fliegenauge eindeutig zu viele Facetten hatte, um sich endgültig festzulegen. Und was mir definitiv fehlte, war die Geduld dazu, mich eingehender damit zu beschäftigen.
Dieses Mistvieh tanzte mir auf meiner Nase herum, ich glaubte einen Cha-Cha oder Konga ausmachen zu können. In meiner Phantasie sah ich winzige Schuhabdrücke, welche die Schrittfolge auf meiner Nase zeigten.
Dieses Kribbeln machte mich verrückt! Ich versuchte die Nase zu kräuseln, was leider überhaupt keine Wirkung zeigte. Mein Versuch, die Unterlippe zu schürzen und mit einem hektischen Ausatmen die Fliege wegzublasen, scheiterte ebenfalls kläglich. Im Gegenteil, sie wurde nur noch unruhiger, was sich durch das Gekitzel auf meiner Nase sofort auf mich übertrug.
Mein Blick blieb kurz auf meinem Holo-Flat-Pad hängen. Nr. 1 bis Nr. 3 hatten wohl das gleiche Problem wie ich. Nur Nr. 4 lag seelenruhig da und schaute sich wieder irgendeinen Bollywood-Schinken an. Fassungslos schaute ich zu, wie über seiner Brust Hologramme mit Krummsäbeln aufeinander einhieben. Der Kerl hatte es echt drauf, entweder ließ er sich nicht so leicht aus der Ruhe bringen oder er war es einfach gewöhnt, dass ihm Fliegen übers Gesicht rannten. Doch jedes Mal, wenn eine Fliege es wagte, auch nur in die Richtung von Nr. 4 zu fliegen, dauerte es nicht lange, bis die Holografie eines Schwertkämpfers herangestürzt kam und den Quälgeist vertrieb. Raffiniert!
Bevor ich die Methode von Nr. 4 kopieren konnte, lenkte meine geflügelte Besucherin jedoch meine volle Aufmerksamkeit wieder auf ihr penetrantes Dasein. Sie kitzelte mich auf meiner Nasenwurzel und krabbelte zu meinem rechten Auge hinunter, wo sie wohl etwas Tränenflüssigkeit schlürfen wollte. Aus Fliegensicht hatte so ein Auge sicher etwas von einem klaren Bergsee,
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