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Koerper, Seele, Mensch

Koerper, Seele, Mensch

Titel: Koerper, Seele, Mensch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Hontschik
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auch davon ab, ob dem jugendlichen Patienten in dieser Richtung Angebote gemacht und Hilfen gegeben werden, im günstigen Falle schon während des zum Teil mehrmonatigen Krankenhausaufenthalts. Ob es nach einem so einschneidenden Erlebnis wie dem Überstehen einer im engeren Sinne unnötigen Appendektomie bei den betroffenen Mädchen und jungen Frauen zur Fortsetzung einer sich auf den Bauch konzentrierenden Operationskarriere (›typisch weiblich‹) oder zu einer Katharsis und einem Neuanfang kommt, ist nicht nur von der Jugendlichen und ihrer sozialen Umgebung, sondern gleichermaßen auch von der Ausrichtung, dem Paradigma, der Medizin abhängig, in die sich solche Menschen mit ihren Problemen vertrauensvoll hineinbegeben.
    Der Umgang mit diesen weiblichen und männlichen Jugendlichen hat mich in meiner Ausbildung zum Chirurgen oft verunsichert. Die technische Perfektion, die ich mit immer mehr Blinddarm- und Knochenbruchoperationen erlangte, blieb letztlich unbefriedigend und ermöglichte mir keine ärztliche, sondern eben nur eine technische Tätigkeit. Manchmal sprachen meine chirurgischen Ausbilder auch von einer Placebo-Operation. Sie meinten damit, daß man mit der eigentlichen Operation eigentlich nichts veränderte oder verbesserte, daß ihrer Erfahrung nach aber eine solche Operation dennoch eine Besserung hervorrufen konnte. Das vergrößerte meine Verunsicherung nur noch mehr, und als ich, das dualistische Menschenbild im Kopf, verstehen wollte, was eigentlich ein Placebo ist, machte ich erstaunliche Entdeckungen. Placebos wurden bei der Visite regelrecht verordnet, so wie andere Medikamente auch. Der Medikamentenschrank im Stationszimmer enthielt rote, blaue und weiße Placebos als Tabletten. Und ich entdeckte die Bedeutungserteilung.

6. Placebo:
Das Geheimnis der Bedeutungserteilung
    Penicillin ist ein Medikament, das weiß jeder. Auch wenn ein Glas Wasser im richtigen Moment viel Gutes bewirken kann, würde niemand behaupten, Wasser sei ein Medikament. Ein paar Stücke Würfelzucker können im Notfall, wenn ein Diabetiker in eine Unterzuckerung abzurutschen droht, Leben retten. Ist Zucker ein Medikament? Was ist der Unterschied zwischen Penicillin auf der einen Seite und Wasser und Zucker auf der anderen?
    Die Verwirrung nimmt zu, wenn man ein Medikament simuliert. In die gleiche rotglänzende Kapsel, in der sich normalerweise ein wirksames Medikament befindet, wird ein neutrales Pulver, etwa Zucker, gefüllt, das bei der Verabreichung beeindruckende Wirkungen hervorrufen kann. Dafür hat sich der Begriff des Placebos (lateinisch: ich werde gefallen) eingebürgert. In einem allgemeinen Lexikon finden sich unter diesem Stichwort verschiedene Synonyme und Erklärungen: Scheinmedikament, Leermedikament, einem Arzneistoff nachgebildetes Präparat, das keine Wirkstoffe enthält. Es wird auch angegeben, man könne durch die Anwendung von Placebos die subjektiv-psychische von der objektiv-pharmakologischen Wirkung eines Arzneimittels unterscheiden. Befragt man ein medizinisches Lexikon, so erfährt man, daß mit einem Placebo jede Wirkung einer therapeutischen Maßnahme (also nicht nur chemischer Stoffe) gemeint ist, die nicht durch physikalisch-chemische Mechanismen erklärt werden kann; der präzisere Terminus dafür lautet Placebo-Effekt.
    Es gibt also Medikamente, die einen Wirkstoff enthalten und eine Wirkung hervorrufen, und es gibt offensichtlich auch Scheinmedikamente, die keinen Wirkstoff enthalten, aber genauso wie ein Medikament eine Wirkung entfalten – manchmal natürlich aber auch nicht –, obwohl es nach chemischen und physikalischen Gesichtspunkten nicht zu erwarten wäre. Daraus folgt, daß neben chemischen Stoffen und physikalischen Einflüssen noch andere Mechanismen existieren müssen, die ähnlich starke Auswirkungen haben können.
    Es wird noch komplizierter: Jeder Arzt ebenso wie jeder Patient weiß, daß ein Medikament auch schaden kann. Verharmlosend werden solche Vorgänge als Nebenwirkungen bezeichnet, obwohl sie manchmal für den betroffenen Patienten die Hauptwirkungen darstellen. Man sollte sie also besser ›unerwünschte‹ im Unterschied zu den ›erwünschten‹ Wirkungen nennen. Da auch Scheinmedikamente nachteilige und schädliche Prozesse auslösen könnten, müßte man diese dementsprechend Nocebos (lateinisch: ich werde schaden) nennen.
    Und es wird noch komplizierter: Manchmal bleibt bei der Verabreichung von hochwirksamen chemischen Stoffen nicht nur die erwartete

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