Kohärenz 01 - Black*Out
und legte ihr die Pässe hin. »Drei Plätze, egal welche Klasse. Ich zahle bar.«
Die Frau, eine korpulente, mütterlich wirkende Asiatin, checkte ihren Computer. »Plätze habe ich jede Menge«, erklärte sie, »aber Sie werden rennen müssen. Das Boarding hat schon begonnen.«
»Wir werden rennen«, versprach Dad. »Als ginge es um die Goldmedaille.«
Die Frau nahm die Geldscheinbündel entgegen, die Dad ihr hinlegte, machte alles gleichzeitig: das Geld zählen, die Tickets ausstellen und am Gate anrufen, um Bescheid zu sagen. »Viel Glück«, rief sie ihnen zum Abschied hinterher.
Sie rannten. Sie mussten ins Nachbarterminal, und die Terminals waren riesig. Sie erreichten das Gate außer Atem, betraten das Flugzeug als Letzte, und es setzte sich in Bewegung, während sie sich noch anschnallten.
Christopher hatte einen Fensterplatz, und irgendwie war er sich sicher, dass jemand den Start verhindern würde.
Doch das Flugzeug rollte auf die Startbahn, die Triebwerke heulten auf, und gleich darauf waren sie in der Luft. Er sah hinaus, hinab auf die Myriaden bunter Lichter des nächtlichen Singapur, die unter ihnen versanken, und fasste sich plötzlich erschrocken an den Hals.
Das Medaillon, das ihm seine Großmutter geschenkt hatte, war weg. Er hatte es beim Duschen abgelegt und aus irgendeinem Grund vergessen, die Kette wieder umzulegen. Wahrscheinlich lag es immer noch auf dem Waschbecken im Hotel.
Es kam ihm vor wie ein böses Omen.
42 | Ein plötzlicher Windstoß ließ irgendwo Äste gegeneinanderschlagen, mit dumpfem Knallen. Das Campfeuer flackerte. Christopher sah auf, in bleiche Gesichter, in denen Entsetzen stand. Ihm war kalt.
Wie spät war es eigentlich? Er wusste es nicht, hatte keine Vorstellung. Es war anstrengend gewesen, alles noch einmal zu erzählen, was Kyle und Serenity schon wussten, und dann weiterzumachen.
»Ihr habt alles zurückgelassen?«, fragte jemand.
»Ja«, sagte Christopher.
»Und von Darwin aus …?«
»Die nächste Etappe war Sidney, glaube ich … Nein, Adelaide, und dann Sidney, und von dort aus …« Er hielt inne, war sich auf einmal nicht mehr sicher. »Ich weiß nur noch, dass wir irgendwann in Paris gelandet und von dort aus mit dem Zug nach England gefahren sind.«
Es war eine Flucht gewesen, über deren Notwendigkeit es nie Diskussionen gegeben hatte. Keiner von ihnen hatte je die Frage gestellt, ob sie überstürzt gehandelt hatten. Keiner von ihnen hatte je gesagt, wenn wir noch kurz ins Hotel zurückgegangen wären und unsere Sachen gepackt hätten, dann hätte ich noch mein … Es hatte genügt, sich an diesen Moment zu erinnern, in dem Linus und Ayumi im Chor gesprochen hatten, um einfach nur froh zu sein, dass sie entkommen waren.
»Bob«, wandte Jeremiah Jones sich an Dr. Connery, hielt inne und meinte: »Ich bin es so gewohnt, dich Bob zu nennen … Aber du heißt eigentlich Stephen, nicht wahr?«
»Stephen Robert Connery, wenn man’s genau nimmt«, sagte der bärtige Neurologe. »Bob ist also schon in Ordnung.« Er hüstelte. »Moore war der Mädchenname meiner Mutter. Da meine Eltern erst geheiratet haben, als ich schon fünf war, habe ich also tatsächlich mal Robert Moore geheißen.«
»Okay. Bob. Was denkst du über diese Geschichte? Kann so eine direkte Verbindung von Hirn zu Hirn funktionieren?«
Dr. Connery kratzte sich am Bart, schien ihn glätten zu wollen; ein hoffnungsloses Unterfangen. »Es ist eine irrwitzige Idee, aber … Ja, es müsste funktionieren. Nach allem, was wir über den Aufbau des Gehirns und die Neuronen wissen, müsste es funktionieren.« Er hob die Hände, legte die spitzen Finger rechts und links an die Schädeldecke. »Jeder von uns hat genau genommen zwei Gehirne – die rechte und die linke Gehirnhälfte, die für unterschiedliche Dinge zuständig sind. Verbunden sind sie durch den sogenannten Balken, ein dickes, quer verlaufendes Bündel von etwa zweihundertfünfzig Millionen Nervenfasern. Dank dieser Verbindung empfinden wir uns als Einheit. Es gibt Menschen, bei denen dieser corpus callosum beschädigt oder durchtrennt ist – durch einen Unfall oder eine Krankheit etwa. Bei solchen Menschen arbeitet zum Beispiel das Sprachzentrum in der linken Hemisphäre nicht mit dem visuellen Zentrum in der rechten Hemisphäre zusammen. Die beiden Hirnhälften arbeiten unabhängig voneinander, was im Alltag nicht besonders auffällt, aber manchmal zu bizarren Effekten führt.«
»Dieses Interface, dieser Chip«, hakte
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