Kohärenz 01 - Black*Out
winzige Pause. »Gut«, erwiderte Linus. »Machen wir es so. Wir holen euch ab um, sagen wir … neun Uhr?«
»Ja. Oder um halb zehn? Nach dem langen Flug …«
»Okay. Halb zehn unten in der Hotellobby?«
Ayumi hatte schon ihr Handy gezückt, orderte in melodiösem Singapur-Englisch ein Taxi. Linus begleitete sie nach unten, bezahlte die Fahrt zum Hotel im Voraus, verabschiedete sie und wartete, bis sie eingestiegen waren und der Wagen anfuhr.
»Also, das -«, begann Mutter, doch Dad, der auf dem Beifahrersitz saß, drehte sich sofort um und legte mahnend den Zeigefinger vor die Lippen.
Christopher nickte. Klar. Sie wussten nicht, ob der Fahrer womöglich zur Kohärenz gehörte.
So fuhren sie schweigend, bis Dad, der die ganze Zeit angestrengt aus dem Fenster sah, plötzlich geradeaus zeigte und sagte: »Halten Sie bitte dort vorne an.«
Der Mann am Steuer zuckte beinahe zusammen. »Ist nicht Hotel«, erwiderte er mühsam und ohne den Fuß vom Gas zu nehmen.
»Wir wollen noch ein bisschen spazieren gehen«, sagte Dad. »Die Nacht ist so angenehm. So etwas sind wir aus England nicht gewöhnt, verstehen Sie?«
Es war schwer zu erkennen, ob der Chauffeur das verstand. »Ist noch weit bis Hotel«, beharrte er.
»Halten Sie hier«, gab Dad zurück, »oder ich beschwere mich morgen früh bei Ihrer Behörde.« Er zog seinen Terminplaner aus dem Jackett, zückte den Kugelschreiber und machte Anstalten, sich die Nummern und Namen aufzuschreiben, die auf dem Ausweis an der Windschutzscheibe standen.
»Wenn Sie wünschen, ich halte!«, rief der Mann aus und brachte sein Taxi mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Sie verstanden zwar nicht, was er vor sich hin murmelte, während sie alle ausstiegen, doch dem Tonfall nach konnte es sich nur um Verwünschungen handeln.
»Und jetzt?«, fragte Mutter.
»Jetzt machen wir, dass wir fortkommen«, sagte Dad. Er fasste in seine Jackentasche, holte die Reisepässe heraus. »Die hab ich nur deswegen dabei, weil ich nicht rausgekriegt habe, wie man den Safe in unserem Zimmer verschließt. Ich hätte nie gedacht, dass mich eine wirre Bedienungsanleitung mal so glücklich machen würde. Was noch? Kreditkarte habe ich, Portemonnaie auch.«
»Dein Laptop«, sagte Mutter. »Der liegt im Hotel.«
»Von dem habe ich zu Hause ein komplettes Backup, außerdem ist die Platte PGP-verschlüsselt«, überlegte Dad. »Da kommt niemand so leicht ran. Was noch? Irgendwas, was wir nicht wieder kaufen können?«
Mutter schloss einen Moment die Augen, öffnete sie seufzend wieder. »Nichts, was ein Risiko wert wäre.«
»Gut. Dann gehen wir nicht ins Hotel zurück.« Christophers Vater zückte seine Kreditkarte. Er hatte sich die Haltestelle gut ausgesucht: Sie standen vor einer Bank, und in einem kleinen Vorraum wartete ein Geldautomat auf Kundschaft. »Wir heben so viel Bargeld ab wie möglich.«
»Ich hoffe bloß, Linus und seine … Kohärenz kriegen das jetzt nicht mit«, sagte Mutter.
»Ich auch«, meinte Dad, während er eine Kreditkarte nach der anderen in den Schlitz schob und sich jedes Mal den Höchstbetrag auszahlen ließ.
Danach fragten sie sich zur nächsten Metrostation durch, gelangten zur Raffles Place Station und erwischten fast sofort einen Zug zum Changi Airport. Christopher musterte die Fahrkarten, kleine Chips aus Hartplastik, die man am Ziel abgeben musste, um das Pfand zurückzuerhalten.
»Ich wundere mich, dass du dich in Singapur so gut auskennst.« Christophers Mutter war kreidebleich. Man merkte, dass sie sich anstrengen musste, die Form zu wahren.
»Ich hab bloß die Broschüre im Flugzeug gelesen«, erwiderte Dad. »Weil mein Buch so langweilig war.«
Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. An jeder Station hielt Christopher den Atem an, war darauf gefasst, dass Linus und seine … hmm, wie sollte man sie nennen? Netzgefährten? Kohärenzbrüder? Aber es stiegen nur ganz normale Leute ein, die meisten mit Koffern beladen.
Am Flughafen studierten sie die Tafel, auf der die nächsten Starts angezeigt wurden. »Darwin, Australien in dreißig Minuten«, sagte Dad schließlich. »Den nehmen wir.«
»Australien?« Christopher starrte ihn an. »Was wollen wir denn dort?«
»Es ist ein anderer Kontinent. Und ich möchte nach diesem Abend furchtbar gerne auf einen anderen Kontinent.«
Sie eilten an den Ticketschalter von British Airways. »Wir müssen kein Gepäck einchecken, aber wir wollen den Flug nach Darwin kriegen«, erklärte Dad der Frau hinter der Theke
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