Kohärenz 01 - Black*Out
gefunden zu haben.
Der geborene Vortragsredner, erkannte Christopher, war Dad jedenfalls nicht. Seine Zuhörer in Acapulco würden eine ziemlich zähe halbe Stunde erleben.
Am Abend vor Dads Abflug hörte Christopher, als er oben aus seinem Zimmer kam, wie sich seine Eltern unten in der Küche unterhielten.
»Dass du mir nicht mit irgendwelchen hübschen jungen Mexikanerinnen anbändelst!«
»Ach was. Bestimmt sitzen wir den ganzen Tag in einem dunklen Kongresszentrum und fachsimpeln und kriegen von der Sonne draußen überhaupt nichts mit.«
»Ah ja? Weißt du, was ich glaube? Dass ihr euch schon nicht überarbeiten werdet. Solche Kongresse sind doch bloß ein Anlass, auf Kosten irgendwelcher Sponsoren Urlaub zu machen. Sonst müsste man ja nicht nach Acapulco fliegen. Wenn es nur um das Fachgebiet ginge, täte es genauso – was weiß ich? Glasgow oder Hannover oder sonst ein Ort mit einem Kongresszentrum.«
Dad lachte leise. »Du hast vermutlich recht. Ich gebe ja auch zu, dass ich meine Badehose eingepackt habe, für alle Fälle.«
»Ha! Aber mir was erzählen, von wegen -« Es klang, als brächte sie Dad mit einem langen Kuss zum Schweigen.
Christopher musste lächeln. Er machte kehrt, ging so leise wie möglich in sein Zimmer zurück und wartete, bis sie ihn zum Abendessen riefen.
Mutter hatte kurz zuvor angefangen, sich wieder bei verschiedenen Banken und Investmentgesellschaften zu bewerben. Während Dad fort war, bekamen sie Antwort: lauter Absagen.
Das bedrückte sie sichtlich. »Ich hatte gedacht, die Sache wäre langsam vergessen. Oder zumindest vergeben«, meinte sie frustriert.
Christopher fing sich in den zwei Wochen, die Dad in Mexiko war, eine schwere Erkältung ein, so richtig mit Fieber und lasch im Bett herumliegen und auf nichts Appetit haben. Wenigstens musste er nicht in die Schule, aber in dem Fall hätte er es sogar vorgezogen, gesund zu sein und hinzugehen.
Den Tag, an dem Dad zurückkam, verschlief er fast völlig; er bekam gar nicht mit, wie Mom ihn vom Flughafen abholte. Irgendwann rüttelte ihn jemand an der Schulter, und als er die Augen aufschlug, standen die beiden da: Mutter, immer noch in gedrückter Stimmung, und neben ihr Dad, braun gebrannt, der sagte: »Na, was machst denn du für Sachen?«
Mit dem Vortrag habe alles geklappt, erzählte er, und es sei insgesamt eine ziemlich lockere Angelegenheit gewesen.
Christopher musterte ihn mit tränenden Augen. Irgendetwas war anders mit Dad als sonst. Irgendetwas. Er kam bloß nicht darauf, was.
Dann schlief er wieder ein.
In den folgenden Tagen ging es ihm allmählich besser, doch das Gefühl, dass mit seinem Vater irgendetwas anders geworden war in Acapulco, wollte nicht verschwinden. Was war es, das dieses Gefühl auslöste? Das sonnengebräunte Gesicht?
Nein, Dad war nach manchen Familienurlauben im Süden schon dunkler gewesen.
Schließlich kam Christopher darauf, was es war.
Dad lachte nicht mehr.
Nicht, dass sein Vater ein besonders lustiger Mensch gewesen wäre, aber es gab Momente, da konnte er sich über einen blöden Witz geradezu wegschmeißen vor Lachen. Es hatte Situationen gegeben, da war das regelrecht peinlich gewesen.
Doch jetzt … Dad lächelte nur noch ab und zu, und auch das nur auf eine eher beiläufige, unbeteiligte Art. Und die meiste Zeit war er ernst, sachlich, ruhig.
Er wirkte, als hätte er etwas erlebt, über das er nicht sprechen konnte. Und als wolle er sich das nicht anmerken lassen.
44 | Kurz darauf flog Mutter wieder nach Deutschland, sodass es an Dad war, sich um Christopher zu kümmern, denn die Erkältung hatte sich zu einer hartnäckigen Bronchitis ausgeweitet.
Auf dem Rückweg von einem Arztbesuch bog Dad unterwegs plötzlich in eine völlig andere Richtung ab, fuhr durch Straßen, in denen Christopher noch nie gewesen war. An einem der Häuser ging eine Tür auf, jemand stellte ein in blaues Packpapier gewickeltes Paket auf den Fußabtreter und schloss die Tür wieder.
Im nächsten Moment hielt Dad vor diesem Haus, stieg aus, holte das Paket und lud es in den Kofferraum.
»Was war das denn?«, fragte Christopher, als sie weiterfuhren.
»Nichts«, sagte Dad. Und die Weise, wie er es sagte, klang nach: Das geht dich nichts an.
Er lenkte den Wagen wieder zurück auf bekannte Straßen, aber ehe sie nach Hause fuhren, machte Dad an einem Supermarkt halt, um zu tanken. Während die Zapfuhr lief, holte er das blaue Paket aus dem Kofferraum und reichte es einem Mann, der
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