Kohärenz 01 - Black*Out
habe noch nie etwas von Sex gehört.
Linus räusperte sich. »Okay«, meinte er und gab Dad einen freundschaftlichen Klaps auf den Arm. »Wie auch immer. Jedenfalls, wir haben die Schnittstelle weiterentwickelt. Perfektioniert, kann man sagen. Das ist jetzt nur noch ein Chip, winzig klein und leistungsmäßig so optimiert, dass er seinen Strombedarf aus der Bioelektrizität des Körpers deckt. Und er ist ohne große Operation einsetzbar – er braucht im Prinzip nur Kontakt zu ein paar Nerven, dann regt er von selbst die Bildung weiterer Nervenbahnen an. Das machen sogenannte bioaktive Komponenten – unser Medikament ist ein Abfallprodukt dieser Forschung.« Er fingerte die nächste Zigarette aus der Packung. »Das ist auch der Grund, warum ich euch eingeladen habe. Alte Freundschaft und so.« Er zündete sich die Zigarette an, nahm einen tiefen Atemzug und sah Dad erwartungsvoll an.
»Danke«, sagte der, »aber ich glaube, das wäre nichts für mich. Unsere Ehe ist auch so ganz in Ordnung, denke ich.«
Etwas veränderte sich in Linus’ Blick. Aus seinem geöffneten Mund entwich Rauch wie aus dem Maul eines Drachen. Er starrte Dad auf eine Weise an, die Christopher regelrecht Angst machte.
Das hier war kein Gespräch unter alten Freunden und Kollegen. Das hier war gefährlich.
»Du verstehst gar nicht, wovon wir reden, oder?«, meinte Linus schließlich. Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Nein, tust du nicht. Nicht mal ansatzweise.«
41 | Die Stadt lag vor ihnen, durchflutet von Autos und dem Licht zahlloser Leuchtreklamen, aber vor diesem Hintergrund wirkte der Balkon nur umso dunkler. Trotzdem konnte Christopher sehen, dass seinem Vater im Verlauf des Gesprächs zunehmend unbehaglicher zumute wurde.
»Ja«, räumte er behutsam ein, »vermutlich verstehe ich das wirklich nicht.«
»Ich rede nicht von Ayumi und mir«, sagte Linus. »Das war nur der Anfang. Wir sind viele! Die ganze Firma ist vernetzt, die Familien der Firmenangehörigen, ihre Freunde …«
Dad räusperte sich, wie immer, wenn er sich in einer Diskussion entschlossen hatte, Widerstand zu leisten. »Linus, ich sehe, dass du davon begeistert bist, aber offen gesagt, mich gruselt es bei dem, was du erzählst. Gehirne miteinander verschalten, zu einem Netzwerk, als wären es Computer … Wo bleibt denn da die Individualität?«
»Ach, Scheiß drauf!«, erwiderte Linus ungehalten. »Deine großartige Individualität kannst du dir sonst wohin stecken. Du bist nicht mehr allein, Mann! Verstehst du? Das Upgrade hat ein Problem beseitigt, das die Menschheit von Anbeginn der Zeiten an gequält hat – du bist endlich, endlich nicht mehr allein!«
Linus trat einen Schritt auf Dad zu, die Hände zu einer Geste erhoben, als wolle er ihn an den Aufschlägen seines Jacketts packen und schütteln. Jackenaufschläge, die es nicht gab, da Dad sein Sakko drinnen über die Stuhllehne gehängt hatte. »Du weißt doch, wovon ich rede. Jeder Mensch weiß das. Es ist unsere allererste Erfahrung, wenn wir auf die Welt kommen: Wir sind allein! Alles, was du tun kannst, ist, vor Hilflosigkeit zu schreien. Und allein bist du dein ganzes Leben. Selbst wenn du mit jemandem zusammen bist, einer Frau, die du liebst, mit der du dich verstehst, mit der du dein Leben teilst – du bleibst trotzdem allein in dir. Du kannst von deinen Gefühlen reden, aber du kannst sie nicht teilen. Du träumst allein. Und du wirst einmal allein sterben. Wir dagegen …« Er wies auf Ayumi, die sich in Bewegung gesetzt hatte, gemessenen Schrittes näher kam. »Wir teilen unsere Träume, wir teilen unsere Gedanken, wir teilen unsere Gefühle. Worte können nicht vermitteln, wie das ist. Wenn ich dir sage, dass zwischen uns absolute, nackte Ehrlichkeit herrscht, dann macht dir diese Vorstellung vielleicht Angst – man braucht doch seine kleinen Geheimnisse, wie man sagt, nicht wahr? Aber man braucht sie eben nicht. Man hat nur deshalb Angst vor absoluter Ehrlichkeit, weil man Angst hat, nicht verstanden zu werden, Angst, verurteilt zu werden, wenn man sich offenbart. Doch wir, wir verstehen uns. Jeder von uns versteht den anderen, weil er seine Gedanken mitdenkt und seine Gefühle mitfühlt – wir können einander überhaupt nicht missverstehen! Es ist keine Lüge zwischen uns möglich, aber es ist auch keine nötig … und du ahnst nicht, wie großartig das ist. Erst jetzt, wo ich es nicht mehr bin, weiß ich, wie allein ich war.«
Dad wand sich förmlich. Er sah aus, als
Weitere Kostenlose Bücher