Kohärenz 01 - Black*Out
Majestät gesehen hatte. Dass dann vieles anders gekommen wäre.
»Immerhin scheint er endlich begriffen zu haben, dass es so nicht weitergeht«, fuhr Christophers Mutter fort. »Wobei er von einem Extrem ins andere verfällt. Jetzt hat er einen Urlaub für uns beide gebucht, in Brighton. Einfach so. Legt mir die Hotelbuchung hin und meint, wir bräuchten mal wieder Zeit füreinander. Er hat mir sogar versprochen, keinen Laptop mitzunehmen!«
Christopher schluckte. »Das klingt doch gut.«
»Ja, und vielleicht hat er recht. Vielleicht müssen wir uns einfach in Ruhe aussprechen …« Sie hielt inne, musterte ihren Sohn nachdenklich. »Sag mal, Chris, hast du das Gefühl, dass ich euch beide in letzter Zeit vernachlässigt habe? Wegen Opa, meine ich? Weil ich so oft in Frankfurt war und so weiter?«
Christopher schüttelte verblüfft den Kopf. »Quatsch.«
»Nicht?«
»Nein.«
»Aber was, wenn dein Vater das so empfunden hat? Vielleicht hat er sich deshalb so in seine Arbeit vergraben …«
Christopher hätte ihr sagen können, dass nach allem, was er wusste, Dads Arbeit nicht das Problem war, aber er sagte stattdessen: »Als du noch gearbeitet hast, warst du viel seltener zu Hause. Damals hätten wir uns eher vernachlässigt fühlen können.«
Das schien sie einleuchtend zu finden. »Zwei Wochen Brighton«, sagte sie. »Wirst du so lange allein zurechtkommen?«
»Klar«, sagte Christopher.
»Aber nicht jeden Tag Pizza, okay?«
Christopher grinste. »Keine Sorge. Ab und zu mach ich mir auch Spaghetti.«
Die Atmosphäre an dem Tag, an dem seine Eltern nach Brighton aufbrachen, ähnelte trotzdem eher der eines Waffenstillstands. Beide taten, als hätten sie gute Laune, und überhäuften Christopher mit mehr oder minder nützlichen Ratschlägen für die Zeit ihrer Abwesenheit: Ablenkungsmanöver, eindeutig. Sie merkten selber, was für schlechte Schauspieler sie waren.
Immerhin: Sie stiegen beide ins Auto und fuhren davon. Und manchmal geschahen ja Wunder. Christopher winkte ihnen nach, bis der Wagen am Ende der Straße um die Ecke verschwand.
Dann ging er zurück ins Haus und begann mit seinen Recherchen.
Er war an jenem bewussten Abend zwar geschockt gewesen, aber nicht so geschockt, dass er nicht noch daran gedacht hätte, ein Bildschirmfoto zu machen von dem, was die Kameras zeigten. Dieses Bild von Dad und der unbekannten Frau bearbeitete er nun mit allem, was moderne Technologie zu bieten hatte.
Er hatte die letzten Tage, während seine Eltern ihre Koffer packten, damit verbracht, den Zugang zum Server einer amerikanischen Softwarefirma zu knacken, die die anerkannt beste Bildbearbeitungssoftware herstellte. Von dort lud er nun eine noch nicht im Handel erhältliche Vorversion des nächsten Updates herunter, dem man in Fachkreisen wahre Wunderdinge nachsagte. Und tatsächlich – die Programmierer hatten ganze Arbeit geleistet. Er verbesserte den Bildausschnitt, der die fremde Frau zeigte, so lange, bis er ein scharfes, kontrastreiches Bild von ihr hatte. Es war gut genug, um sie zweifelsfrei wiederzuerkennen, sollte man ihr in anderem Zusammenhang begegnen.
Anschließend besorgte er sich aus Dads Zimmer die Unterlagen jenes Kongresses in Acapulco. Mexico war der Anfang gewesen. Seitdem war alles anders.
Was Christopher vor allem interessierte, war natürlich die Teilnehmerliste des Kongresses.
Zweihundertelf Personen standen darauf, von denen knapp ein Drittel Frauen waren. Christopher begann, die Namen zu googeln und sich die Bilder anzusehen, die er auf diese Weise fand.
Die Teilnehmer kamen aus aller Welt, und manche Namen waren in den betreffenden Ländern ziemlich geläufig, sodass Christopher manchmal auf Dutzende verschiedener Fotos stieß. Doch keines davon zeigte die Frau, die Dad in London getroffen hatte.
Umgekehrt fand er zu etwa der Hälfte der Namen überhaupt keine Bilder. Diese Namen übertrug er in eine gesonderte Liste.
Er suchte und fand auch das Kongresszentrum in Acapulco. Es unterhielt eine Website, über die man auf deren eigenen Server gelangte, der einem brute-force- Angriff keine Minute standhielt: Das Zugangspasswort lautete, äußerst einfallslos, congress.
Auf diesem Server fand sich, wie Christopher gehofft hatte, eine Mitarbeiterdatenbank, komplett mit Passfotos, wie man sie für das Ausstellen von Zugangsausweisen benötigte. Auch alle ehemaligen Mitarbeiter waren noch verzeichnet; bei ihnen stand im Feld »Job-Ende«, das bei den anderen leer war, ein
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