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Kohärenz 01 - Black*Out

Titel: Kohärenz 01 - Black*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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wartete noch, solange er es aushielt, aber irgendwann musste er den Rechner abschalten und zurück ins Bett kriechen.

 
    45 | Dad kam spät nach Hause an diesem Abend, erst nach Mitternacht. Christopher war wach geblieben, er hatte sich ausgemalt, seinem Vater Vorwürfe zu machen, ihn zur Rede zu stellen, doch er brachte es aus irgendeinem Grund nicht fertig.
    Das war der Nachteil daran, erkannte er, jemandem hinterherzuspionieren: Man machte sich damit selber angreifbar. Fand man auf diese Weise etwas über den anderen heraus und hielt es ihm vor, hatte man im Streit von vornherein die schwächere Position.
    Dad kam auch an den folgenden Abenden spät nach Hause, und einmal schaffte es Christopher, nach dem Grund zu fragen. »Ich hatte noch zu tun«, war die Antwort. Was fing man damit an?
    Dann kam Christophers Mutter endlich zurück, doch an Dads Verhalten änderte sich nichts; er kam weiterhin nicht vor elf Uhr abends nach Hause. Doch sie ließ sich das nicht gefallen.
    »Hast du eine andere?«, hörte Christopher sie eines Abends im Wohnzimmer schreien. »Hast du eine Affäre? Bist du deswegen die ganze Zeit so geistesabwesend?«
    Christopher öffnete die Tür seines Zimmers einen Spalt weit, um Dads Antwort zu hören. Er sei doch nicht geistesabwesend, wie sie darauf käme?
    »Bist du wohl!«, beharrte Mutter.
    Christophers Hoffnungen schwanden. Im Gegensatz zu seiner Mutter entging ihm nicht, dass Dad nur bestritt, geistesabwesend zu sein, nicht aber, eine Geliebte zu haben.
    Wie würde das enden? Das war nicht schwer zu erraten: Über kurz oder lang würden sich seine Eltern scheiden lassen. Aber sich vorzustellen, wie das sein würde, fiel ihm schwer, ja, es schmerzte schon, es auch nur zu versuchen.
    Klar, das Leben ging weiter. In seiner Klasse hatte die Hälfte seiner Mitschüler geschiedene Eltern. Aber das war etwas, über das so gut wie nie gesprochen wurde. Ein Mädchen hatte er einmal erzählen hören, sie habe bei der Scheidung ihrer Eltern wählen müssen, bei wem sie bleiben wolle.
    Würde er bald auch vor dieser Wahl stehen? Und wenn ja: Wie würde er sich entscheiden?
    Was für ein entsetzlicher Gedanke!
    Christopher setzte sich an seinen Computer und ging ins Internet, um nach irgendeinem System zu suchen, das einigermaßen schwierig zu knacken war. Er wollte über all das jetzt nicht nachdenken. Bestimmt würde sich das wieder einrenken, und er machte sich unnötige Sorgen. Seine Eltern hatten sich doch immer gut verstanden; wieso sollte das auf einmal anders sein? Dass sie sich scheiden lassen würden, konnte er sich schlicht nicht vorstellen. Scheidung, das war etwas, das nur anderen zustieß.
    Und immerhin, von nun an kam Dad wieder pünktlich zum Abendessen nach Hause.
    Dafür zog er sich danach sofort in sein Arbeitszimmer zurück, um bis weit nach Mitternacht an seinem Rechner zu programmieren.
    »Was soll das?«, regte sich Christophers Mutter auf. »Was tust du den ganzen Tag, dass du abends noch arbeiten musst?«
    »Reg dich nicht auf«, erwiderte Dad. »Ich hab schon einen anderen Job in Aussicht.«
    Trotzdem herrschte weiterhin so dicke Luft im Hause Kidd, dass es kaum auszuhalten war. Christopher war froh, wieder gesund zu sein – bis auf den Husten, der sich hartnäckig hielt – und dem allem in die Schule zu entkommen. Ja, zum ersten Mal in seinem Leben spürte er nach Schulende regelrechte Unlust, nach Hause zu gehen. Manchmal bummelte er stattdessen auch noch eine Weile durch das Einkaufszentrum oder setzte sich ein, zwei Stunden in ein Internetcafé, um dort zu surfen.
    Seine Eltern stritten nun wegen jeder Kleinigkeit. Die Luft war wie mit Elektrizität geladen. Es war, als hinge in den Zimmern dicker schwarzer Nebel. Mutter schimpfte, zeterte, regte sich auf und weinte schließlich, während Dad alles fast reglos über sich ergehen ließ. Wenn er mal einen Vorwurf abstritt, tat er das so lahm, als sei ihm eigentlich egal, ob sie ihm glaubte oder nicht.
    »Ich weiß nicht, wie das weitergehen soll mit Dad und mir«, sagte Mutter eines Abends zu Christopher, als sie beide allein im Wohnzimmer saßen. Dad hatte sich wieder einmal zurückgezogen, um zu arbeiten. »Ich hab keine Ahnung, was mit ihm los ist. Er sagt, es ist die Arbeit, aber ich kenne ihn seit zweiundzwanzig Jahren, das kann er jemand anderem vorlügen.«
    Später dachte Christopher oft, dass dies der Moment gewesen wäre, in dem er seiner Mutter hätte erzählen sollen, was er über das Kamerasystem Ihrer

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