Kohärenz 01 - Black*Out
verwendete. »Das Geräusch entsteht dadurch, dass wir ein kleines Loch in deine Nasenrückwand bohren müssen, um an die richtige Stelle zu kommen.« Er öffnete die Schatulle. Zwei winzige Gegenstände aus Metall lagen darin, oval, kaum so groß wie ein halber Fingernagel und in eine Schicht aus graugrünem Glibber gehüllt. »Das Geräusch überträgt sich über die Knochen direkt in dein Ohr, deshalb wird es sehr laut klingen, aber tatsächlich ist es ein harmloser Eingriff, wie ihn jeder Hals-Nasen-Ohren-Arzt regelmäßig durchführt. Das Loch wächst innerhalb weniger Tage wieder zu, sogar der Knochen wächst nach.« Er wählte einen der Chips aus, legte ihn in eine Kammer über dem Griff des pistolenförmigen Dings. »Am besten, du achtest gar nicht darauf. Entspann dich. Es tut nicht weh.«
Er reichte das Instrument an den dritten Mann weiter. Der nahm es mit gleichmütigem, geübtem Griff, trat vor Christopher hin, legte die freie Hand auf dessen Kinn und führte ihm den langen, dünnen Stab in das rechte Nasenloch ein, bis dessen Ende irgendwo hinten anstieß. Christopher hörte ein Geräusch, ein dumpfes »Blobb«, aber er spürte nichts. Was immer da geschah, es geschah in dem tauben Bereich in seinem Kopf.
Der Mann drückte den Abzug des Instruments, etwas schnappte, schnarrte, bewegte sich, begleitet von einem Geräusch im Inneren von Christophers Kopf, das sich anhörte, als breche ein riesiges Regal voller Saurierknochen in sich zusammen. Gleichzeitig war ihm, als dringe etwas in ihn ein, etwas Kaltes, Schweres, Massives, das genau wusste, wohin es wollte, aber vielleicht war das ja auch nur Einbildung. Sie konnten ihm den Chip doch nicht durch diese Röhre mitten ins Hirn schieben, oder?
Der Mann zog das Instrument wieder heraus. Die vorderen zwei Zentimeter des dünnen Laufes waren blutverschmiert.
Christopher schmeckte auch Blut, das seinen Rachen hinablief, warm, metallisch, klebrig. Also, das war jetzt doch ein bisschen heftig. Seine Knie gaben vollends nach, jemand öffnete rasch den Gurt um seinen Kopf, und er konnte endlich in sich zusammensinken, wurde aufgefangen und weggetragen, hinein in die Schwärze, die ringsherum aufstieg.
Doch es war schrecklich laut in der Dunkelheit.
Willkommen, riefen Tausende von Stimmen, und ihr Chor hallte nach: komm, komm, komm …
Er schlief, er träumte, er flog, er arbeitete, er schwamm, er kochte, er baute Maschinen zusammen, er zählte Geld, er unterschrieb Briefe, er installierte Kabel, er ging Treppen hinauf und hinab, hinab, hinab.
Was war nur los?
Das Paket muss nach Liverpool. Ich überweise das Geld am besten heute noch. Wie lautet das Passwort? Schmetterling.
Christopher krümmte sich, rollte sich zusammen, barg den Kopf in seinen Armen. Was war nur los?
Willkommen-komm-komm-komm …
Er lag in seinem Bett. Hatte er das alles nur geträumt? Aber da war ein Schmerz in seinem Kopf, im Rachen, tief drinnen, und im Hals schmeckte er Blut …
Er kommt auf die Tagung. Ankunft 14 Uhr 05 mit dem Flug aus Birmingham. Ich hole ihn ab. Ein zusätzliches Hotelzimmer ist gebucht. Vorhänge vorziehen – das mache ich. Injektor, Medikamente, Arretiervorrichtung, Implantat – alles liegt bereit. Ich verkünde auf der Tagung, dass er krank ist und sein Referat ausfällt. Ich ändere den Schichtplan des Hotels so ab, dass uns kein Einzeling stört.
Was war nur los? Was waren das für Gedanken, die durch seinen Geist dröhnten? Fremde Gedanken. Nicht seine Gedanken. Er hatte keinen Grund, so etwas zu denken. Er verstand nicht einmal, was diese Gedanken zu bedeuten hatten.
Sie flieht. Fang sie im Treppenhaus ab. Das ist sie. Pack sie. Gut. Sie schreit. Egal, ich habe Notfalldienst in der Polizeiwache, ich schicke mich. Ich gehe die Treppe ins Hotel hoch, spreche mit den Leuten, beruhige sie. Sie glauben mir. Ich verhafte mich, das erleichtert alle. Sie hat jetzt das Implantat und liegt im Erstschock, keine Gefahr mehr von dieser Seite. Sie ist willkommen-komm-komm-komm …
Es waren nicht seine Gedanken. Also waren es deren Gedanken. Und so viele, so mächtige, so gewaltige! Wie Brecher eines aufgewühlten Ozeans rollten sie heran, schlugen über ihm zusammen, rissen ihn mit sich.
Willkommen-komm-komm-komm …
Ein Chor aus Tausenden von Stimmen, doch es war kein Chor aus Lauten, da hatte er sich geirrt, es war ein Chor von Gedanken, Gefühlen, Wahrnehmungen.
Das Dunkel wich. Er öffnete die Augen und …
… sah das Verkehrsgewühl am Trafalgar
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