Kohärenz 01 - Black*Out
die Augenbrauen. »Das sind tatsächlich viele.«
»Tendenz steigend«, ergänzte jemand.
Christopher hob den Kopf, sah in die Runde. Nein. Sie hatten es noch nicht begriffen.
Es war also doch noch nicht alles gesagt.
Er räusperte sich. »Ich fürchte, Sie schätzen das Potenzial der Kohärenz falsch ein. Und das, was daraus entstehen kann.«
Jeremiah Jones schüttelte den Kopf. »Oh, das denke ich nicht. Ich habe mich gerade gefragt, wie viele Mitglieder eine Organisation wie die Mafia haben mag. Sicher auch so viele, ungefähr. Wenn man nun bedenkt, dass die Kohärenz, verglichen damit, ungleich besser organisiert ist, erkennt man -«
»Nein«, unterbrach Christopher ihn. »Sie haben es noch nicht verstanden.«
Jones war es sichtlich nicht gewöhnt, dass man so etwas zu ihm sagte. Er verzog das Gesicht und erwiderte säuerlich: »Dann erklär es uns.«
Christopher bedauerte seinen harschen Ton. Das war unhöflich gewesen und dumm obendrein; immerhin war er auf die Hilfe dieses Mannes angewiesen.
»Ich will Ihnen etwas vorrechnen«, begann er so behutsam wie möglich. »Es ist eine theoretische Berechnung, aber sie zeigt, denke ich, worauf die Entwicklung hinauslaufen wird.«
Sie sahen ihn alle gespannt an. Er legte sich die Zahlen zurecht. Simples Kopfrechnen.
»Angenommen, es gäbe am Anfang nur zwei Menschen, die über eine Gehirnschnittstelle direkt miteinander verbunden sind. Nur zwei, die sozusagen die kleinstmögliche Kohärenz bilden. Zwei Personen genügen, um den Chip einer weiteren Person einzupflanzen. Danach dauert es eine Woche, bis diese Person funktionierender Teil der Kohärenz ist – im Schnitt, wohlgemerkt. Solange die Kohärenz noch nicht viele Mitglieder hat, dauert es länger, doch je größer sie wird, desto schneller schwingen sich neu angeschlossene Gehirne ein.«
»Ja, das haben wir kapiert«, erklärte Dr. Connery. »Worauf willst du hinaus?«
Christopher beugte sich vor, stützte sich mit den Ellbogen auf die Oberschenkel. »Angenommen, es gäbe heute diese kleinstmögliche Kohärenz, und sie würde beschließen, so schnell wie nur irgend möglich zu wachsen. Was würde passieren? Sie würden zwei Wochen brauchen, um zwei weitere Mitglieder aufzunehmen. Diese neuen Mitglieder, das ist wichtig, sind sofort nach dem Einschwingen einsatzbereit. Sie benötigen keine Ausbildung, müssen sich nicht eingewöhnen, nichts dergleichen – sie können unmittelbar auf die Erfahrungen und das Wissen der anderen zugreifen, sie verfügen über alle Fähigkeiten, die sich die anderen noch selbst aneignen mussten. Sie können also sofort ihrerseits neue Mitglieder aufnehmen.«
»Oh«, machte jemand.
»Nach weiteren zwei Wochen – also in vier Wochen – umfasst die Kohärenz bereits acht Leute. Nach sechs Wochen sechzehn. Nach acht Wochen zweiunddreißig. Und so weiter.«
Sie starrten ihn an. In manchen Gesichtern zeichnete sich jenes Grauen ab, das mit dem Verstehen dieser Entwicklung einherging. Aber nicht in allen. Einer sagte: »Acht Wochen, das sind fast zwei Monate. Wenn es so lange dauert, um zweiunddreißig Mitglieder aufzunehmen, muss diese Kohärenz schon eine ganze Weile existieren – oder seh ich das falsch?«
»Ich fürchte, du siehst das falsch, Wallace«, sagte Jeremiah Jones leise. »Ich fürchte, das geht jetzt weiter wie in der berühmten Geschichte vom Reis und dem Schachbrett. Schade, dass ich meinen Taschenrechner nicht griffbereit habe …«
»Nach sechzehn Wochen wären es fünfhundertzwölf Mitglieder, nach sechsundzwanzig Wochen – das ist ein halbes Jahr – bereits 16.384 Mitglieder«, rechnete Christopher vor. »Nach einem Jahr, nach zweiundfünfzig Wochen also, wären es rechnerisch hundertvierunddreißig Millionen Mitglieder, sechs Wochen später mehr als eine Milliarde, und nach insgesamt einem Jahr und zehn Wochen überstiege die Zahl der möglichen Mitglieder bereits die Zahl der Menschen auf Erden, mit anderen Worten, dann wären sämtliche lebenden Menschen Teil der Kohärenz.«
Es war, als hielte jeder in der Gruppe um das Feuer unwillkürlich die Luft an.
»Nach einem Jahr und zehn Wochen?«, wiederholte schließlich ein jüngerer Mann. »Das muss ich selber nachrechnen. Das glaub ich einfach nicht.«
»Das ist die Reihe der Zweierpotenzen«, sagte Christopher. »Und es ging mir nur darum, das Potenzial der Entwicklung zu zeigen. In Wirklichkeit geht es nicht so schnell, weil die Kohärenz noch eine Menge anderer Dinge zu tun hat und viele
Weitere Kostenlose Bücher