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Kohärenz 01 - Black*Out

Titel: Kohärenz 01 - Black*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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an alle Einzelheiten des Plans erinnern, den er entwickelt hatte.
    Wenn ein Chip erlosch, ging die Kohärenz davon aus, dass dessen Träger tot war. Das kam bei der Anzahl ihrer Mitglieder natürlich vor und war an sich nichts Alarmierendes, aber jeder Todesfall wurde trotzdem eingehend untersucht, vor allem, wenn er nicht absehbar gewesen war.
    Die Kohärenz gab niemals auf, ehe sie nicht absolute Gewissheit darüber hatte, unter welchen Umständen und auf welche Weise der betreffende Chipträger gestorben war. Insbesondere galt es sicherzustellen, dass der Ausfall nicht durch einen feindlichen Angriff bewirkt worden war, denn in einem solchen Fall mussten entsprechende Verteidigungsmaßnahmen getroffen werden.
    Deswegen war die Kohärenz zweifellos bereits dabei, sein Verschwinden zu untersuchen. In diesem Augenblick ließen Dutzende ihrer Mitglieder alles liegen und stehen und machten sich auf den Weg: Zu der U-Bahn-Station, in der das Signal von Christophers Chip verstummt war, zu anderen U-Bahn-Stationen, zu Polizeiwachen und Krankenhäusern, um zu erfahren, ob es einen Unfall gegeben hatte oder ein Verbrechen. Zugleich würde die Kohärenz das Internet nach Hinweisen durchforsten, die Aufnahmen der Überwachungskameras abfragen, den Datenverkehr der Polizei und Geheimdienste belauschen und jedes existierende System in Alarmbereitschaft versetzen, sobald sie wusste – und wahrscheinlich wusste sie es in diesem Moment bereits –, dass er nicht tot, sondern untergetaucht war.
    Sein einziger Vorsprung bestand darin, dass er sich erinnerte, wo Kameras standen und was sie sahen und wo sich im letzten Moment, ehe er die Anbindung an die Kohärenz gekappt hatte, ihre Mitglieder aufgehalten hatten. Er konnte darauf hoffen, keinem von ihnen in die Arme zu laufen.
    Das Schwindelgefühl wich allmählich wieder, auch wenn sich Christophers Hirn immer noch anfühlte wie betäubt. Er schaffte es, an der richtigen Station umzusteigen und dabei den Überwachungskameras am Bahnsteig so weit wie möglich auszuweichen. Erst als er im nächsten Zug stand, kam ihm zu Bewusstsein, dass er den Atem angehalten hatte. Einen Moment lang war die Versuchung übermächtig, sich wieder in das Feld einzuklinken, nur für ein paar winzige Sekunden, nur um zu wissen, was los war.
    Aber das durfte er natürlich nicht tun, unter keinen Umständen. Nicht nur, dass er die Kohärenz damit sofort auf seine Spur gebracht hätte, sie würde bei einem solchen Kontakt auch unverzüglich und mit aller Macht versuchen, ihn wieder einzugliedern. Ob sein Schutzwall einem solchen Angriff standhalten würde, war zumindest fraglich.
    Haltestelle Knightsbridge, Stadtbezirk Belgravia. Er stieg aus, nahm die Treppen an die Oberfläche, versuchte, sich zu orientieren, und musste wieder dem Impuls widerstehen, einfach mal schnell bei Google eine Karte der Umgebung abzurufen.
    So irrte er eine kostbare halbe Stunde umher, bis er endlich vor dem Gebäude stand, das er gesucht hatte.
    Es war ein großes Anwesen, stuckverziert, von alten Bäumen umstanden und von einem hohen schwarzen schmiedeeisernen Zaun umschlossen. Imposante Säulen stützten das Vordach über der Eingangstreppe. Und natürlich wimmelte es von Überwachungskameras.
    Allerdings gehörten sie nicht zum staatlichen Überwachungssystem, sondern nur zur Sicherheitsanlage des Anwesens. Christopher wusste, dass die Kohärenz keinen Zugriff auf diese Kameras hatte; tatsächlich existierte nicht einmal eine Leitung nach draußen. Das war es, worauf er seine Hoffnungen gründete.
    Jetzt allerdings, da er hier stand, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und sich einsam und verletzlich fühlte angesichts der abweisenden Architektur, musste er doch erst tief durchatmen. Würde das gelingen, was er vorhatte? Auf einmal war er sich nicht mehr so sicher wie all die Wochen zuvor, in denen er seinen Plan entwickelt hatte.
    Doch was half es? Er hatte nur diesen einen Versuch. Tatsächlich trug er nicht einmal mehr genug Geld für die U-Bahn in der Tasche. Er hätte mit seiner Kreditkarte zahlen müssen – oder mit seinem Fingerabdruck, wie es neuerdings in Mode kam –, und das wäre das Ende seiner Flucht aus der Kohärenz gewesen.
    Er konnte es sich nicht leisten zu zögern, und es brachte nichts, über seine Chancen nachzugrübeln. Es musste gelingen, er hatte keine andere Wahl.

 
    49 | Er überquerte die Straße, stieg die vier Treppenstufen aus uraltem Marmor empor, stemmte die schwere Eichentür auf

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