Kohärenz 01 - Black*Out
andere Pläne verfolgt. Aber feststeht, dass die Kohärenz wachsen will – ja, tatsächlich ist sie davon überzeugt, dass sie so schnell wie möglich wachsen muss, um auf Dauer bestehen zu können. Und«, fuhr Christopher fort, obwohl ihm das Sprechen auf einmal schwerfiel, »feststeht auch, dass die Kohärenz unbesiegbar ist. Sie sieht durch Tausende von Augen, handelt mit Tausenden von Händen, und sie ist unendlich viel intelligenter als jeder einzelne Mensch. Niemand kann sie aufhalten.«
Er hätte sich gern irgendwo angelehnt, war bis ins Mark erschöpft. »Im Grunde ist es auch egal, ob es noch ein Jahr dauert oder drei. Wir werden es auf jeden Fall erleben. Die Tage der Menschheit, wie wir sie kennen, sind gezählt.«
Auserwählt
51 | Der Tag danach fühlte sich an wie der erste Tag nach einer überstandenen Krankheit, wie ein Erwachen nach einer Nacht, in der das Fieber seinen Höhepunkt überschritten hatte.
Christopher fröstelte trotz des dicken Schlafsacks. Er stemmte sich hoch, sah sich um und wünschte sich sofort, er hätte es nicht getan: Im Licht des hellen Morgens waren die großen grauen Schimmelflecken nicht zu übersehen, die die Zeltplane zierten. Außerdem drang von den Latrinen ein unangenehmer Geruch herüber.
Er hatte das ganze Gästezelt für sich. Wo Kyle und Serenity wohl untergebracht waren? Bei ihrem Vater vermutlich.
Ihm war das nur recht. Christopher verspürte im Moment keine gesteigerte Lust, den beiden zu begegnen. Oder überhaupt irgendjemandem. Wahrscheinlich saßen sowieso schon alle beisammen und redeten über ihn. Ihn, das Monster. Den Jungen mit dem Chip im Kopf.
Er ließ sich zurücksinken, starrte an die Decke. Sonnenlicht blinzelte durch irgendeinen Spalt, warf helle, verschlungene Muster auf die vergammelte Zeltplane. Von draußen hörte man die Geräusche des Lagers – Stimmen, Gelächter, das Klirren des metallenen Geschirrs.
Es wäre Zeit gewesen aufzustehen.
Aber aus irgendeinem Grund brachte er das nicht über sich.
Heute Morgen kam es ihm wie ein Fehler vor, ihnen alles erzählt zu haben. Hatte er damit nicht alles aus der Hand gegeben, sich völlig ausgeliefert? Jetzt konnten sie mit ihm umspringen, wie sie wollten.
Okay, theoretisch konnte er drohen, zu gehen und die Änderung im Satelliten-Überwachungsprogramm rückgängig zu machen. Teufel, dazu brauchte er nicht einmal einen Computer; es würde genügen, bei den entsprechenden Stellen anzurufen und ihnen einen heißen Tipp zu geben!
Aber das würde er in keinem Fall tun, und sie würden ihm diese Drohung auch nicht abnehmen. Insofern war das keine Trumpfkarte mehr.
War es das, was ihn lähmte? Diese Machtlosigkeit? Das Gefühl, sich ausgeliefert zu haben?
Nein, sagte er sich nach einigem Grübeln. Es war etwas anderes.
In den Wochen, die hinter ihm lagen, hatte er stets ein Ziel vor Augen gehabt: dieses Camp zu erreichen, die Gruppe um Jeremiah Jones, in der Dr. Connery Zuflucht gesucht hatte. In den Monaten davor hatte er auf der Lauer gelegen, um den richtigen Moment zur Flucht nicht zu verpassen.
Und nun? Nun hatte er kein Ziel mehr. Nun war er da, wo er hingewollt hatte. Die Flucht war zu Ende. Wenn er jetzt noch den Chip loswurde, blieb nichts mehr zu tun.
Nichts mehr – außer zu warten, bis die Kohärenz sie irgendwann schließlich doch alle einholte.
52 | Er war noch einmal eingenickt. Irgendetwas ließ ihn mit pochendem Herzen hochfahren, sprungbereit horchen … Nichts. Ein wirrer Traum, in dem die Kohärenz eine Rolle gespielt hatte. Und Serenity, seltsamerweise.
Er rieb sich den Schlaf aus den Augen. Okay, die Kohärenz würde sie eines Tages alle schlucken. Aber zumindest bis dahin ging das Leben weiter. Und das Leben hatte nun einmal etwas damit zu tun, dass man morgens aufstand, sich wusch, frühstückte und dergleichen.
Christopher kroch aus dem Schlafsack, zog seine Jeans über. Jemand hatte ihm ein Handtuch hingelegt. Groß, allerdings auch kratzig. Weichspüler war wohl eher unüblich in der Wildnis.
Egal. Zweifellos würde er sich noch an ganz andere Dinge gewöhnen müssen.
Er trat ins Freie. Wie spät mochte es sein? Er hatte keine Ahnung, und wo seine Uhr abgeblieben war, wusste er auch nicht. Früh war es jedenfalls nicht mehr, das sah selbst er mit einem Blick an den Himmel.
Im Camp herrschte geschäftiges Treiben. Wobei er nur hier und da Bewegungen sah, Geräusche und Stimmen hörte. Die anderen Zelte und die Wohnwagen standen zu tief im
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