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Kohärenz 01 - Black*Out

Titel: Kohärenz 01 - Black*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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still, und diese Weite! Serenity schwamm, Zug um Zug, genau wie früher, lauschte zirpenden Insektenlauten und klagenden Vogelrufen, und am liebsten wäre sie für alle Zeiten einfach so weitergeschwommen.
    Dann erreichte sie eine Stelle, von der aus sie Christopher oben auf seinem Felsen sitzen sah, und drehte wieder um.
    Nachher lagen sie auf den Steinen, um sich von der Sonne trocknen zu lassen, und dösten vor sich hin.
    »War das früher so?«, wollte Serenity wissen. »Das Leben deiner Vorfahren, meine ich.«
    Madonna gab einen glucksenden Laut von sich. »Das darf man getrost bezweifeln. Ich glaube, es war mit viel Arbeit verbunden, vor allem für die Frauen. Die Indianer früher sind nicht alt geworden, die meisten haben ihre Zähne nach und nach verloren, und Kinder sind oft noch als Babys gestorben … Und ich hätte keine Chance gehabt, jemals von hier wegzukommen.«
    »Mmh«, machte Serenity und spürte der angenehm durchdringenden Schwere in ihrem Körper nach. »Aber wozu auch?«
    Madonna setzte sich ruckartig auf. »Ich werde mal Sängerin. Wenn ich mit der Schule fertig bin, gehe ich nach Seattle und studiere Musik und Gesang.«
    »In die Stadt?«, entfuhr es Serenity. »Du?«
    Madonna sah auf den See und die Wälder, aber ihr Blick galt dem, was sie jenseits davon vermutete. »Seattle stell ich mir großartig vor«, sagte sie.
    Bei Anbruch der Dämmerung wurden endlich die Lagerfeuer entfacht, und das Festessen begann. Bier floss in Strömen, Irene ging umher, ermutigte – oder sollte man besser sagen nötigte – alle zuzugreifen, und ließ immer noch mehr Wildbraten und Backkartoffeln und geschmortes Gemüse anschleppen. Alles schmeckte köstlich, nach Knoblauch und unbekannten Gewürzen, nach Wildnis und Freiheit und Gefahr, und es war so viel davon da, als erwarteten sie noch eine ausgehungerte Armee.
    Sogar Christopher war von seinem Grübelfelsen herabgestiegen. Was nicht hieß, dass er deswegen ansprechbar gewesen wäre, im Gegenteil: Nun hockte er eben auf einem Holzstamm, aß schweigend, und man hörte es förmlich rattern in seinem Kopf.
    Serenity ließ ihn in Ruhe. Sie hatte genug mit ihrem eigenen Teller zu kämpfen. Madonna schlug zu, als gäbe es kein Morgen; es war Serenity ein Rätsel, wie sie ihre Figur hielt. Man wurde schon satt, wenn man nur zusah, was für Mengen sie verdrückte.
    Serenity beobachtete auch ihren Vater, der neben einer Frau mit langen, fahlen Haaren saß. Das musste Melanie Williams sein, seine derzeitige Freundin. Eine Künstlerin, hatte ihr Rus erzählt, eine nicht ganz unberühmte Fotografin – und nicht ganz unkompliziert, hatte er mit einem verschwörerischen Grinsen hinzugefügt.
    Serenity hörte nichts von dem, was Dad und Melanie redeten, aber die beiden sahen auf jeden Fall eher aus wie zwei, die sich stritten, als wie ein Liebespaar.
    Serenity grinste schadenfroh in sich hinein. Wäre er eben besser bei Mom geblieben.
    Später holte jemand seine Gitarre, ein anderer seine Mundharmonika und ein dritter eine kleine Trommel, und kurz darauf erfüllten die ersten Töne die warme Nacht. Madonna gesellte sich dazu und sang mit, Countrysongs genauso wie alte indianische Weisen, und sogar ein paar aktuelle Popsongs, wie sie täglich fünfmal im Radio kamen. Vielleicht, überlegte Serenity, war Sängerin tatsächlich keine schlechte Idee. Madonna hatte eine schöne, dunkle Stimme, so rauchig wie das Lagerfeuer, an dem sie saßen.
    Serenity wusste nicht, wie spät es war, als sie endlich im Schein einer Taschenlampe in ihren Schlafsack kroch, müde bis auf die Knochen. Die Geräusche des Waldes sangen ihr ein Schlaflied: das Knarzen des Baums, das Rascheln im Gestrüpp, die Eulenrufe. Ansonsten war es heute Abend still um sie herum. Weder Dad noch Kyle waren da.
    Hatte sie Dad zuletzt nicht doch noch Arm in Arm mit dieser Zicke gesehen? Und Kyle? Der hatte vorhin noch an dem anderen Feuer gesessen und mit zwei Typen über irgendwelche Umweltprobleme geredet.
    Serenity drehte sich herum, auf der Suche nach einer guten Einschlafposition, und aus irgendeinem Grund fielen ihr die Hubschrauber wieder ein. Wie sie schon mit dem Leben abgeschlossen gehabt hatte.
    Dabei hatte sie daran doch nicht denken wollen. Den Tag über hatte sie es auch geschafft. Aber nun raste ihr Herz von der bloßen Erinnerung.
    Und sie musste an Christopher denken. An den Moment, wie er ihr seine Uhr in die Hand gedrückt und neben ihr die Augen geschlossen hatte. Und wie dann die

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