Kohärenz 01 - Black*Out
er alle Weißen verachtet. Das kann es ja auch nicht sein. Und Weiße, das sind für ihn alle Nichtindianer. Sogar Schwarze sind für ihn – AU!«
Sie schrie auf, ließ ihr Messer fallen, hielt mit der rechten Hand die linke umklammert, und aus ihrem Griff tropfte etwas zu Boden, etwas Dunkles … Blut, erkannte Serenity. Madonna hatte sich mit ihrem scharfen Messer in die Hand geschnitten.
»Mist«, ächzte Madonna. »Mist, Mist, Mist …«
Sie fiel auf die Knie, sank vornüber, sah auf einmal geisterhaft bleich aus.
»Warte«, stieß Serenity hilflos hervor. »Ich hol Hilfe. Oder …« Konnte sie Madonna allein lassen? Was, wenn sie ohnmächtig wurde? Serenity sah an sich herab. Vielleicht konnte sie einen Streifen aus ihrem T-Shirt reißen, um die Wunde zu verbinden?
In diesem Moment raschelte es neben ihr, und wie herbeigezaubert stand Madonnas Bruder da. Und, oh Wunder, er hatte Verbandsmaterial dabei. Ohne ein Wort zu sagen, kniete er sich zu seiner Schwester, löste den Griff ihrer rechten Hand, betrachtete die verletzte Stelle.
»Harmlos«, sagte er. Ein Wort nur, und es schien wie ein Klotz aus Blei aus seinem Mund auf den Boden zu fallen.
Er ließ den Schnitt einen Moment ausbluten, strich dann mit einer Art Moos darüber, wischte das Blut damit weg. Anschließend fingerte er ein Verbandspäckchen aus der Tasche, riss mit einer raschen Bewegung die Verpackung ab – einhändig, mit den Zähnen – und begann, Madonnas Hand zu umwickeln. Jeder Handgriff wirkte absolut professionell.
Serenity vergaß beinahe zu atmen. Sie sah ihm nur zu, wie gelähmt.
George Angry Snake hielt sich keine Sekunde länger auf als unbedingt nötig. Kaum war der abschließende Knoten gemacht, stand er auch schon wieder auf und verschwand raschen Schritts im Dickicht.
Madonna richtete sich seufzend auf, betrachtete den Verband an ihrer Hand. »Das war der Schreck.« Sie musterte Serenity mit mattem Augenaufschlag. »Es stimmt nämlich nicht, was man so sagt über Indianer – dass sie keinen Schmerz kennen.«
Serenity hob den Kopf, versuchte, im vielscheckigen Grün-Braun des Unterholzes wenigstens eine Spur von Madonnas Bruder zu erkennen – vergebens. »Ich fasse es immer noch nicht, dass er plötzlich aufgetaucht ist. Genau im richtigen Moment.«
Madonna rappelte sich hoch, klaubte ein paar Petersilienbüschel auf, die aus dem Korb gefallen waren. »Ich hab’s dir doch gesagt. Er weiß immer, wo ich bin und wie’s mir geht.«
60 | Weil das eigentliche Festessen abends stattfinden würde und sich alle ihren Appetit bis dahin aufsparen wollten, gab es mittags nur einen kleinen Imbiss – Stücke von hartem Fladenbrot, selbst gemachte Limonade, jede Menge Obst. Serenity übernahm es, Christopher seinen Lunch zu bringen, denn er saß immer noch auf seinem Felsen über dem See und machte keine Anstalten herunterzukommen.
Er regte sich auch nicht, als Serenity zu ihm hochstieg, den Teller in der Hand. Er saß da wie eine Statue, den Blick in fremde Dimensionen gerichtet. Das Einzige, was sich an ihm bewegte, waren seine Hände – sie spielten mit Steinchen, zerbrachen trockene Zweige, verscheuchten Insekten und malten seltsame Muster in den Staub.
Durfte sie ihn überhaupt stören? Hing womöglich Entscheidendes davon ab, dass sie ihn in Ruhe ließ?
Unsinn, rief sie sich zur Ordnung, trat vor ihn hin, stellte den Teller mit den beiden Broten, den Apfelschnitzen und den Tomaten vor ihm ab und erklärte: »Mittagessen. Wenn du verhungert vom Berg rollst, ist niemandem gedient.« Sie nahm die mit Wasser gefüllte Feldflasche, die sie sich umgehängt hatte – Limonade, das wusste sie noch aus Kindertagen, gehörte nicht in Feldflaschen –, und stellte sie dazu. »Und trinken solltest du auch was.«
Er reagierte nicht. So, als habe er sie überhaupt noch nicht bemerkt.
Seltsamerweise hatte Serenity nicht das Gefühl, ignoriert zu werden. Es war eher, als sei Christopher gefangen in etwas Größerem, Mächtigerem. Die Luft um ihn herum schien elektrisch geladen zu sein, zu vibrieren vor Energie.
War er am Ende in den Bann der Kohärenz geraten? Serenity schluckte erschrocken. »Ist alles okay mit dir?«
Da lösten sich seine Augen aus ihrer Starre, wich der metallene Glanz von ihnen. Er blinzelte, sah sie an, sah dann auf den Teller. »Danke«, flüsterte er. »Ich hab jetzt wirklich Hunger.«
»Das große Gelage gibt’s heute Abend«, erklärte Serenity hastig, aus dem Gefühl heraus, die Gelegenheit nutzen
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