Kohärenz 02 - Hide*Out
Sekunden. Dad starrte immer noch vor sich auf den Boden, den Mund halb offen, die Lippen bewegend, als probiere er Worte aus, um sie unausgesprochen wieder zu verwerfen.
»Doch. Ich muss«, sagte er und sah in die Runde. »Es ist das Mindeste, was ich tun kann dafür, dass Sie mich herausgeholt haben.«
Alle hingen gebannt an seinen Lippen.
»Teil der Kohärenz zu sein«, fuhr er fort, »ist, als wäre man tot – und trotzdem bei Bewusstsein. Man ist ein Geist, der vergessen hat, wer er im Leben war. Wohlgemerkt: Man weiß noch, was früher war – aber es ist, als ob diese Erinnerungen zu jemand anderem gehören. Man identifiziert sich nicht mehr damit. Man kommt gar nicht auf die Idee zu denken, das bin ich. Oder das war ich, bevor ich Teil der Kohärenz wurde. Man benutzt diese Erinnerungen einfach, wie man ein Nachschlagewerk benutzt.«
Dad hielt inne, starrte ins Leere. Er sah aus, als horche er den Worten nach, die er gerade gesprochen hatte, und versuche, sich darüber klar zu werden, ob er damit etwas Richtiges gesagt hatte.
»Man ist auch nicht wirklich Teil einer Gemeinschaft«, erklärte er bedächtig. »Man ist nicht einsam, man ist nicht mit anderen zusammen – es ist weder das eine noch das andere, sondern ein Zustand, für den es kein Wort gibt. Man ist, ja… man ist ein Übermensch. Ein Wesen, das die Beschränkungen des Menschseins hinter sich gelassen hat. Man ist ein Geist von unfassbarer, kristallklarer Intelligenz. Es ist eigenartig, wenn ich mich zurückerinnere – ich weiß nicht mehr, was ich alles gedacht habe, ich weiß nur noch, dass es rasend schnell und völlig mühelos vor sich ging. Man jongliert mit Tausenden von Variablen, Tausenden von Möglichkeiten, hat einen unfassbaren Überblick über Zusammenhänge, Verbindungen, Beziehungen zwischen Dingen, Zuständen, Menschen… Tausende von tausendstelligen Zahlen miteinander im Kopf zu verrechnen, ist ein Klacks, etwas, das man nebenbei erledigt. Es ist beinahe berauschend, so denken zu können…« Er hielt inne, grübelte wieder.
Es herrschte gespannte Stille. Christopher war es, als warte selbst der Wald gespannt darauf, was sein Vater zu sagen hatte. Kein Vogel war zu hören, selbst das Rauschen der Baumwipfel hatte einen Moment lang aufgehört.
»Diese Entscheidung, Sie zu verfolgen, Jeremiah.« Dad zögerte. »Ich habe nicht das Gefühl, daran beteiligt gewesen zu sein. Aber ich habe eine schwache Erinnerung daran, wie ein Echo aus einem anderen Geist – eine Erinnerung daran, wie die Kohärenz auf die Idee gekommen ist. Es galt, die Rechenzentren zu zerstören, weil sie dort Daten speicherten, die der Kohärenz gefährlich werden konnten. Gleichzeitig musste man Dr. Connery fassen und es war nötig, sich ein Ablenkungsmanöver einfallen zu lassen. Für beides gab es Tausende von Ideen, aber die Kohärenz hat beschlossen, diese beiden Dinge miteinander zu kombinieren. Obwohl es dadurch nicht leichter wurde! Aber gerade das hat es so reizvoll gemacht. Ein Spiel. So, wie wenn jemand in einem Büro ein zusammengeknülltes Blatt Papier nicht in seinen Papierkorb, sondern wie einen Basketball quer durch den Raum in den eines Kollegen wirft. Einfach, um zu zeigen, dass er es draufhat.«
Jeremiah Jones’ Augen waren groß geworden. »Uns zu verfolgen, ist für die Kohärenz ein Spiel?«
»So was in der Art«, sagte Dad.
»Okay«, meinte Jones finster. »Dann wird es Zeit, dass wir ihr dieses Spiel verderben.«
Dad hustete. »Bin gespannt, wie Sie das machen wollen.«
Jeremiah Jones sah ihn misstrauisch an. »Ich habe schon gehört, dass Sie in dieser Frage nicht gerade Optimismus verbreiten.«
»Ich sage, was ich weiß.«
»Sie denken im Ernst, dass wir am Ende alle in der Kohärenz aufgehen? Unausweichlich?«
»Ja«, sagte Dad schlicht. »Wenn die Kohärenz das anstreben sollte, ist es unausweichlich.«
15 | Es war, als lege sich ein Schatten auf das Camp. Alle starrten Christophers Vater an. Irgendwo knarrte ein Baum; es klang wie eine Klage.
»Ich weigere mich, das zu glauben«, erklärte Jeremiah Jones schließlich. Seine Kinnmuskeln traten hervor. »Bis zu meinem letzten Atemzug werde ich mich weigern, das zu glauben.«
»Tut mir leid, aber das ist nun mal keine Frage des Glaubens«, sagte Dad sanft. Auf einmal war wieder diese Präsenz in seinem Blick, die Christopher neulich abends zum ersten Mal wieder gesehen hatte. Nein, Dad war doch nicht ganz in der Kohärenz verschwunden!
Christopher war, als ließe
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