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Kohärenz 02 - Hide*Out

Kohärenz 02 - Hide*Out

Titel: Kohärenz 02 - Hide*Out Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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Mittlerweile konnte er sehen, dass die Kräfte, die an ihm zerrten, eigentlich diesen Halt angriffen, nicht ihn. Diesen Halt, von dem Christopher wusste, dass es etwas sein musste, das es in Wirklichkeit nicht gab, denn er befand sich in seinem eigenen Inneren, in einem seltsam umgestülpten Kosmos, der nur aus verschiedenen Graden von Dunkelheit bestand.
    Was war nur los? Es hatte mit der Kohärenz zu tun. Mit dem Feld. Er konnte spüren, wie es an ihm nagte und fraß, wie es versuchte, ihn mit sich zu reißen…
    Diesmal, das wusste er plötzlich mit absoluter Gewissheit, würde er seine Eigenständigkeit nicht bewahren können. Diesmal drohte ihm die endgültige Auflösung, das Aufgehen im Verband der Kohärenz, der Verlust dessen, was ihn, Christopher Kidd, ausmachte…
    Ein Verlust? War es das denn? Würde es wirklich so schlimm sein, wenn diese Existenz als einzelnes, einsames Wesen, das mit anderen Menschen nur mühsam bis gar nicht zurechtkam, endete und überging in eine andere, größere, unbeschreibliche Existenz, in ein Dasein, das jenseits von Gemeinschaft und Individualität stand?
    Es war die alte Sehnsucht. Von Anfang an hatte Christopher sie empfunden, als er Teil der Kohärenz gewesen war, hatte ihr zuletzt, ehe er ganz ausgestiegen war, immer schwerer widerstanden.
    Jetzt, so schien es, hatte er gar keine Wahl mehr. Er konnte nur noch warten, bis sein Widerstand brach, oder einfach loslassen und sich ins Unvermeidliche zu fügen. Geschehen würde es so oder so, kam es auf ein paar Sekunden an?
    Er hörte sie schon, die unhörbare Stimme der Kohärenz, wie sie ihn durch all das dunkle Brausen und Toben hindurch rief.
    Komm zurück – komm – komm – komm – komm…
    Es war eine Verlockung wie keine andere, die er jemals verspürt hatte.

29 | Madonna Two Eagles wollte gerade die Telefonnummer ihrer Cousine Carol Morris wählen, deren Eltern nicht viel von indianischen Traditionen wie Kriegernamen hielten, als Christopher plötzlich einen glasigen Blick bekam. Das wäre für sich genommen noch nichts Bemerkenswertes gewesen, aber im nächsten Moment kippte er vom Stuhl wie ein nasser Sack. Mehr aus einem Reflex heraus, als dass sie verstanden hätte, was vor sich ging, streckte Madonna den Arm aus und konnte gerade noch verhindern, dass Christopher mit dem Kopf auf den nackten Kachelboden knallte.
    Sie beugte sich über ihn. »Christopher! Hey! Was ist los mit dir?«
    Er atmete noch, aber er hatte die Augen geschlossen, und als sie versuchsweise eines seiner Lider anhob, sah sie nur das Weiße seiner Augäpfel.
    »He, könnt ihr mir mal helfen?«, rief sie zur Theke hinüber. Die Jungs dort hatten nicht mitbekommen, was passiert war, aber nun kam Jim, der Barkeeper, wie eine Rakete hinter seinem Tresen hervorgeschossen.
    »Shit!«, rief er. »Was hat dein Freund?« Er warf einen Blick auf Christopher. »Sieht aus wie ein epileptischer Anfall. Pass auf, dass er nicht seine Zunge verschluckt. Ich rufe unseren Arzt.« Er machte auf dem Absatz kehrt, rannte zurück hinter die Theke, brachte ein gutes altes Telefon am Kabel zum Vorschein und begann zu wählen.
    Und sie saß hier am Boden mit einem bewusstlosen Jungen im Arm. Konnte nur warten, bis dieser Arzt auftauchte. Was wer weiß wie lange dauern würde.
    Sie sah auf Christopher hinab. Wenn sie ihn so hielt, merkte sie, dass es tief in seinem Körper vibrierte, als fänden irgendwo Kämpfe statt, von denen sie nur die Erschütterungen mitbekam, die die Schritte, Sprünge und Schläge der Kontrahenten erzeugten.
    Sie studierte die blassen Züge seines Gesichts, denen man nichts ansah. Was war das für ein fernes Beben in seinem Leib? Es beunruhigte sie, das zu spüren.
    »Ja, hallo? Doktor March?«, hörte sie Jim an der Bar. Jim, der Motorrad fuhr und von einer Tour den Transamerica Highway entlang träumte, von Alaska bis Feuerland. Jim, der gern Stoner Rock hörte, zwei Schwestern hatte und eine kranke Mutter und deswegen den Arzt gut kannte. »Wir haben hier einen Jungen, siebzehn Jahre alt, der irgendeine Art von Anfall hat…«
    Das ist kein Anfall. Madonna wusste das plötzlich mit kristallklarer Gewissheit.
    Und aus einem Impuls heraus, den sie später nie wirklich verstehen würde, beugte sie sich zu Christopher hinab und küsste ihn auf die Lippen, so fest und so zart, wie sie konnte.
     
    Mit einem Schlag kehrte die Realität zurück. Auf einmal besaß Christopher wieder Lippen, spürte sie und spürte auch, wie andere Lippen die seinen

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