Kohärenz 02 - Hide*Out
und setzte hinzu: »Wobei du so was ja vielleicht gar nicht brauchst, nach allem, was George mir erzählt hat.« Er grinste flüchtig. »Jedenfalls, wenn du irgendwas brauchen solltest, Fragen hast, was auch immer, wir sind vorne im Aufenthaltsraum. Erste Tür rechts von der Haustüre. Dort, wo’s nach Tabak stinkt.«
»Okay«, sagte Christopher.
Dann schloss sich die Tür endlich und er war allein. Konnte sich auf den ledernen Schreibtischsessel setzen, die Tastatur zu sich heranziehen und loslegen.
68 | Man hatte tatsächlich den Eindruck, als sei in den Radiostationen des Landes die reinste Manie ausgebrochen. Die Moderatoren schwärmten nicht mehr nur von diesem Song und spielten ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sie telefonierten mit Zuhörern darüber und forderten auf, man solle anrufen, wenn man etwas über die Sängerin wisse. Und mittlerweile wusste man schon einiges: Dass es sich um eine Blackfeet-Indianerin handelte, von der manche sagten, sie heiße Madonna Two Eagles, andere, Madonna Graham; dass sie die Napi Elementary School in Browning besucht, die Schule aber abgebrochen hatte; dass ihre Mutter als Übersetzerin für das Amt für Indianerangelegenheiten arbeitete; man hatte herausgefunden, wo das Video aufgezeichnet worden war – nämlich am Ufer des Lower Saint Mary Lake –, und kannte die Marke ihrer Gitarre.
Und immer wieder kam das Lied. Als wollten sie austesten, wie oft sie es bringen konnten, ehe es den Leuten zum Hals heraushing.
Die reinste Manie, wirklich wahr. Mit den Mails, die Christopher verschickt hatte, konnte das schon längst nichts mehr zu tun haben. Es war der Song selber, der das bewirkte, zusammen mit dem Geheimnis darum herum. »Ich dreh noch durch!«, jammerte Madonna, als sie irgendwo in den Rockies Mittagspause machten. »Können wir diesen Zack van Horn nicht wenigstens schon mal anrufen? Dass er weiß, dass wir zu ihm unterwegs sind? Nicht, dass wir in Seattle ankommen und der ist gerade, was weiß ich, mit Cloud zu einer Welttournee aufgebrochen.«
Kyle seufzte. »Schätzchen, wir haben Wochenende. Morgen ist Sonntag. Meinst du nicht, dass auch so ein Musikproduzent ab und zu ein bisschen Wert auf Privatleben, Freizeit und Familie legt?«
Worauf Madonna unglücklich in sich zusammensackte.
Kyle wechselte öfter den Sender, aber es war überall das Gleiche. Ein Moderator hatte sogar Madonnas Cousine ans Telefon bekommen, die davon berichtete, wie sie das Video gedreht hatten, und in höchsten Tonen davon schwärmte, was für eine tolle Stimme Madonna habe, wie großartig sie spiele und wie viele wunderbare Songs sie schon geschrieben habe.
»Woher will die denn das wissen?«, sagte Madonna verdutzt. »Sie kennt doch bloß das eine Lied.«
Das Telefonat war eine Aufzeichnung, die der Moderator immer wieder stückweise abspielte und kommentierte, um anschließend ebenfalls seine Zuhörer aufzufordern, sich zu melden, wenn sie sachdienliche Hinweise hätten, wie er sich ausdrückte. Worauf sich einer meldete, der behauptete, Madonnas Boyfriend zu sein.
»Wie bitte?«, rief Madonna entgeistert. »Ein Anruf aus der Zukunft?«
Der Anrufer klang auch nicht wie ein Junge in ihrem Alter, eher wie ein älterer Typ, der seine Stimme verstellte. Er wollte schon damit anfangen, Einzelheiten über ihr angebliches Liebesleben zum Besten zu geben, als ihn der Moderator elegant abblockte und mit der Frage, welches denn nun eigentlich Madonnas richtiger Nachname sei und wieso zwei Varianten im Umlauf seien, aufs Glatteis führte. »Kann es sein, dass Sie sie überhaupt nicht kennen?«, fragte er schließlich geradeheraus, worauf der Anrufer wortlos auflegte.
Madonna war kreidebleich. »Da hab ich mich auf was eingelassen«, murmelte sie und bat: »Kannst du das Radio nicht eine Weile ausschalten?«
Kyle schüttelte den Kopf. »Ich brauch die Verkehrsdurchsagen. Und die Nachrichten.«
Serenity hatte ihren Bruder allerdings im Verdacht, dass er die Situation insgeheim genoss.
»Mach dir nichts draus«, meinte sie zu Madonna. »Das geht bestimmt allen Stars so. Auch der anderen Madonna. Und deiner Cloud bestimmt auch.«
Ihre Freundin starrte aus dem Fenster. »Leute können so blöd sein«, murmelte sie und nach einer Weile dumpfen Brütens setzte sie hinzu: »Ich weiß nicht, wieso die Kohärenz darauf aus sein soll, alle Menschen aufzunehmen. Da kriegt sie doch bloß die ganze Blödheit auf einem Haufen.«
Am späteren Nachmittag wurde es besser; zeitweise
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