Kohärenz 02 - Hide*Out
ein Abstellplatz für nicht mehr gebrauchte Fertighausbauteile. Obwohl sie das mit dem Großteil aller amerikanischen Städte gemein hatte, lag die Hauptstadt des Reservats am untersten Ende der ästhetischen Skala.
Christopher hatte damit gerechnet, dass George irgendwo einen Zwischenstopp einlegen würde, um sich bei Freunden oder Verwandten zu melden, aber er schien nichts dergleichen vorzuhaben. So rollten sie über rissigen Asphalt, an rostigen Straßenlaternen, halb zertrümmerten Basketballkörben und billig aussehenden Häusern vorbei, passierten weitläufige Schrottplätze und trostlose Wohnsilos, Brachland und ein paar Viehweiden ohne Vieh und verließen die Stadt wieder in Richtung Norden.
Es wurde hügliger, die Straße wurde schmaler, es tauchten mehr Büsche auf als je zuvor, bisweilen sogar ein paar Bäume – allerdings wäre es übertrieben gewesen, die Gegend »bewaldet« zu nennen –, und es wurde, soweit das möglich war, noch einsamer.
Und irgendwann spürte Christopher erleichtert, dass auch das Mobilfunknetz verschwunden war. Es tat gut, den Chip loslassen zu können.
66 | Es gab Streit um den Beifahrersitz. Kyle wollte auf einmal wieder, dass sie beide hinten saßen, damit er den Sitz freihatte für seine dämliche Karte. »Wenn keine von euch imstande ist, mich zu dirigieren, dann brauch ich das so«, beharrte er.
»Christopher hat dich auch nicht dirigiert«, entgegnete Serenity, die gerne vorne gesessen wäre auf der Fahrt durch die Rocky Mountains. »Er hat nur die Karte auf dem Schoß gehabt. Du bist gefahren, ohne dass er dir irgendwas sagen musste.«
»Gestern kannte ich den größten Teil der Strecke, wir sind ja hauptsächlich wieder zurückgefahren. Und außerdem hätte er mich dirigieren können! Im Gegensatz zu euch beiden.«
Dagegen ließ sich schwer etwas sagen und so blieb es dabei, dass sie beide auf den Rücksitz verbannt waren, als sie in Richtung Seattle aufbrachen.
Wie lange sie brauchen würden, wollte Madonna nur wissen.
»Ich denke, morgen sind wir da«, meinte Kyle. »Heute packen wir die Rockies, durchqueren Idaho und dann ist es nicht mehr weit. Heute Abend brauchen wir zur Abwechslung ja mal keine weiße Zone, um übernachten zu können. Das wird es einfacher machen.«
Es klang fast, als sei er froh, Christopher los zu sein.
»Was ist mit Mom und Dad?«, fragte Serenity. »Können wir die nicht doch irgendwie benachrichtigen, dass wir okay sind? Mom macht sich bestimmt tierisch Sorgen.«
Kyle nickte. »Dad auch, ganz bestimmt. Ja, müssen wir sehen. In Seattle hab ich noch zwei Adressen, über die ich ihn kontaktieren kann. Falls die noch aktuell sind.«
»Und wenn nicht?«
Kyle knurrte unwillig. »Darüber zerbreche ich mir den Kopf, wenn es so weit ist, okay?«
Eine Weile fuhren sie schweigend. Irgendwann machte Kyle das Radio wieder an. Fast das erste Lied, das kam, war Madonnas No Longer Lonely.
»Wow!«, rief sie.
»Allmählich kann man Verfolgungswahn kriegen«, meinte Kyle.
Natürlich hatten sie beim Frühstück nur über ein Thema diskutiert: das Verschwinden von Christopher und George. Wieso sie einfach abgehauen waren, ohne ihnen was zu sagen. Wie sie es geschafft hatten, so leise zu sein. Wo sie hingefahren sein mochten. Was sie vorhaben konnten. Ob das stimmte mit dem Plan oder ob das nur ein Vorwand war, beispielsweise dafür, dass Christopher sie nicht länger in Gefahr bringen wollte mit seinem verräterischen Chip.
»Aber dein Bruder ist mit ihm gegangen«, hatte Serenity gesagt. »Das spricht dafür, dass Christopher tatsächlich etwas vorhat.«
»Mein Bruder«, hatte Madonna erwidert, »hat meinem Vater versprochen, auf Christopher aufzupassen. Deswegen ist er mitgekommen. Das Ehrenwort der Krieger bindet ihn.« Und dann hatte sie etwas zuversichtlicher hinzugefügt: »Aber ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen. George ist ziemlich gut im Aufpassen.«
Im Grunde wussten sie gar nichts. Und in gewisser Weise waren sie nun auch raus aus dem Spiel: Was immer an weltbewegenden Dingen geschehen mochte, es würde woanders geschehen.
Was irgendwie ein seltsames Gefühl war. Serenity hatte sich das bisher nicht bewusst gemacht, aber bei allen Strapazen, die sie mitgemacht hatten, hatte sie sich doch immer sagen können, dass sie mit dabei war, wenn sich das Schicksal der Menschheit entschied. So etwas konnten nicht viele von sich sagen. Das war schon etwas Besonderes gewesen.
Doch das war nun vorbei. Nun waren sie nur noch
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