Kohärenz 02 - Hide*Out
zwei Mädchen und ein Mann, die in einem Auto eine Straße entlangfuhren. Was ungefähr so bedeutsam war, wie wenn der berühmte Sack Reis in China umfiel.
»Wo sie wohl gerade sind?«, fragte Serenity.
Kyle gab nur ein beleidigtes Schnauben von sich. Er war immer noch stinksauer mit den beiden.
Sie fuhren bergan. Die Sonne schimmerte durch die Wipfel der mageren Nadelbäume rechts und links der Straße. In der Ferne sah man eine Kette schneebedeckter Rocky-Mountains-Gipfel.
Serenity konnte nicht anders, als an Christopher zu denken. Darüber zu grübeln, was ihn zu diesem Schritt bewogen haben mochte. Was er vorhatte.
Und ob sie sich je wiedersehen würden. Ja, das auch. Das war fast ihre größte Sorge.
Christopher war so unvermutet in ihr Leben getreten, ein komischer Kauz, der sich mit Computern besser verstand als mit Menschen, der entweder wie ein Wasserfall redete oder gar nicht, der manchmal abweisend, manchmal zutiefst einsam wirkte und nicht selten beides zugleich. Es hatte Momente gegeben, in denen sie das Gefühl gehabt hatte, dass sich etwas zwischen ihnen entwickelte – nicht, dass er der Märchenprinz auf dem weißen Ross gewesen wäre, wahrhaftig nicht – aber doch irgendwie… eine Verbindung. Nähe. Etwas Besonderes.
Zusammen mit ihm war sie sich selber weniger fremd in der Welt vorgekommen, weniger wie der Außenseiter, als den sie sich sonst immer empfand. Christopher und sie, sie waren beide Außenseiter, jeder auf seine Art, aber dass sie beide das Gefühl kannten, nicht dazuzugehören, verband sie.
Und sie hatte nie, nicht eine einzige Sekunde lang, das Gefühl gehabt, dass Christopher von ihr erwartete, anders zu sein als so, wie sie war. Das unterschied ihn von allen Jungs, mit denen sie es je zu tun gehabt hatte.
Zuletzt hatte sie eine regelrechte Allergie entwickelt gegen diese irritierten Blicke, wenn sie etwas anderes sagte oder tat als das, was der Junge, mit dem sie aus war, erwartet hatte.
»Wie, du hast kein Handy?« Typen, die so was fragten, bekamen eine Abfuhr und danach kein weiteres Wort mehr. Mit denen konnte es sowieso nichts werden. Ab und zu – selten, aber es kam vor – fragte mal einer: »Und wieso? Wieso hast du keins?« Immerhin eine Frage, über die man sich unterhalten konnte. Seine Standpunkte darlegen. Argumentieren. Es war ja nicht so, dass sie darauf bestand, dass andere auch kein Mobiltelefon haben sollten. Das war ihr doch völlig egal. Das konnte jeder machen, wie er wollte. So, wie der eine lieber Brokkoli aß und Paprika hasste und der andere umgekehrt.
Aber leider liefen derartige Diskussionen immer darauf hinaus, dass man sie überzeugen wollte. Überreden, dass ihr Paprika doch schmecken müsse, wenn er jedem anderen auch schmeckte. Wie blöd war das denn? Anstatt einfach nur ihre Sicht der Welt erzählen zu können, kam es immer so weit, dass sie sich verteidigen musste, sich und ihr Recht, nicht so zu sein wie alle anderen. Offenbar war dieses Recht irgendwann abgeschafft worden, ohne dass sie es mitgekriegt hatte. Und wenn sie darauf beharrte, sie selber zu sein, sie, Serenity Jones, siebzehn Jahre alt, hieß es irgendwann, sie sei dickköpfig, unbelehrbar und überhaupt könne man mit ihr nicht diskutieren.
Nichts dergleichen hatte sie mit Christopher erlebt. Wenn er mal seine Schutzhülle öffnete, dann schien er sich aufrichtig für sie zu interessieren. Neugierig zu sein, wer sie war. Wie sie dachte. Wie sie die Welt sah.
Und nun war er fort. Womöglich krallte ihn sich die Kohärenz in nächster Zukunft – vielleicht schon heute Nacht, wenn er Pech hatte –, und dann? Dann würde er irgendwohin verschwinden und abgesehen davon sowieso nicht mehr Christopher sein, sondern eben ein weiterer Körper dieser unheimlichen Macht, die da im Dunkeln heranwuchs.
67 | Die Sonne senkte sich schon im Westen, als sie ein Sägewerk passierten, das in einem Tal lag. »Eine von Jacks Investitionen«, erklärte George unvermittelt. »Das Holz wird aus Kanada geliefert. Sie stellen hier die besten Bretter her, die man im Umkreis von tausend Meilen kaufen kann. Vieles ist automatisiert, Bandstraßen, Sägewerk und so weiter, aber sie schauen sich genau an, wozu sie welchen Stamm verarbeiten. Die sind nämlich nicht alle gleich. Das macht den Unterschied aus.«
»Aha«, machte Christopher. Er hätte lügen müssen, um zu behaupten, dass ihn die Fabrikation von Holzbrettern irgendwie interessiert hätte. Er betrachtete das Gelände nur
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