Kohl, Walter
sich brüsk um und sagte nur einen einzigen Satz, an dessen Wortlaut ich
mich genau erinnere:
»Das kann es ja wohl nicht sein.«
Sprach's
und war schon wieder auf dem Weg zum Ausgang. Mutter folgte ihm wortlos.
Ich
brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen. Dann spurtete ich hinterher und
stellte ihn zur Rede. Ob er denn gar nicht wissen wolle, was sein Sohn so tue?
Er entgegnete trocken, das brauche er nicht zu wissen, er hätte alles gesehen,
was er sehen müsse. Ich regte mich furchtbar auf und verlangte, dass er doch
wenigstens eine Stunde Interesse für meine Welt zeigen könnte. Er jedoch blieb
unerbittlich. Für ihn war die Sache klar, was gab es da noch zu reden? Ich
verwickelte ihn in einen heftigen Wortwechsel, aber das nützte überhaupt
nichts. Was nicht in seine Vorstellungen passte, das durfte so nicht sein.
Aus
eigener Erfahrung darf ich wohl sagen, dass schon sehr viel passieren muss,
bevor er seine Sicht der Dinge in irgendeiner Weise modifiziert. Diese starre
Haltung brachte mich immer wieder zur Weißglut. Erst nachdem ich Machiavelli gelesen
hatte, verstand ich sie besser. Macht und Misstrauen, so heißt es dort, sind
die grundlegenden Eigenschaften des erfolgreichen Fürsten. Sie sind auch die
konstitutiven Elemente im psychologischen Profil meines Vaters. Neues bedroht
für ihn vor allem erst einmal bewährte alte Strukturen, insbesondere die zuvor
von ihm selbst etablierten und sorgfältig ausbalancierten Machtmechanismen.
Erst wenn das Neue sich als unschädlich für die eigene Machtstruktur erwiesen
hat, kann einer Veränderung zugestimmt werden. Möglicherweise.
Für meinen
Vater war und ist die Politik seine eigentliche Heimat. Seine wahre Familie
heißt CDU, nicht Kohl. Er fühlte sich in einem archaischen Sinne als der
Clanchef eines Stammes, der sich CDU nennt. Irgendwann verschmolzen in seiner
inneren Wahrnehmung die Partei und er zu einem Ganzen. Die Partei hat ihn
gemacht, aber er hat über einen langen Zeitraum hinweg auch die Partei gemacht.
Alle seine politischen Ämter sind das Ergebnis seiner Tätigkeit in der Partei.
Die Partei war zeit seines Lebens der wichtigste und dauerhafteste Kraftquell
seines Tuns. Niemals hätte er, mit ganz wenigen Ausnahmen, etwa dem Unfall
meines Bruders in Monza im Herbst 1991, einen Partei- oder Ämtertermin
zugunsten einer familiären Verpflichtung fallengelassen.
Jahrzehntelang
hat er sein Bestes in Partei- und Gremienarbeit investiert, hat er
»Entscheidungen am Fließband getroffen«, wie er es nannte. Das war sein Sinnen
und Trachten, es rangierte weit vor Familie und sonstigem Privatleben. Wir liefen
auf seiner politischen Bühne mit, als Teil des Bühnenbildes, aber ohne
tragende Rolle. Man kann auch sagen, dass man sich als Zuschauer seines Lebens
gefühlt hat, denn wir sahen ihn ja fast jeden Tag im Fernsehen. Es war ein Teil
des Jobs unserer Mutter, immer wieder die Hoffnung zu propagieren, es werde
irgendwann einmal anders werden, aber auch da gab sie sich einer Täuschung hin.
Jeder
Junge wünscht sich einen Vater, mit dem er gemeinsam die Welt erkunden kann,
der mit ihm zelten geht oder Fußball spielen. Jeder Junge wünscht sich einen
Vater, der auch für ihn da ist. Ich habe es nicht geschafft, meinen Vater zu
erreichen. Nun sind mehr als 40 Jahre vergangen, aber die Grundaufstellung
dieser Vater-Sohn-Beziehung ist unverändert geblieben. Früher habe ich
darunter sehr gelitten, heute nehme ich meine Erfahrung zum Anlass, darüber ein
Buch zu schreiben, nicht zuletzt auch deshalb, um mit mir selbst ins Reine zu
kommen.
Von Konrad
Adenauer stammt der Satz:
»Du musst
die Menschen nehmen wie sie sind, es gibt keine anderen.«
So muss
ich es wohl auch sehen.
Horst
Seehofer hat einmal bekannt, dass Politik süchtig macht. Oskar Lafontaine gab
zu, dass der politische Mensch vom Applaus der Galerie abhängig ist. Durch die
Tätigkeit meines Vaters konnte ich zahlreiche Politiker kennenlernen, aus
Deutschland, aus Europa, aus der ganzen Welt. Wenn ich an diese Menschen denke,
dann meine ich so etwas wie eine politische DNA zu verspüren. Man hat sie -
oder man hat sie nicht, egal, welche politische Richtung oder Partei man vertritt.
Nur wenn man sie hat, ist man in der Lage, die enormen Belastungen einer
politischen Karriere zu ertragen und sich im Kampf um Ämter und Wahlsiege
nachhaltig durchzusetzen. Nur dann ist man auch in der Lage, sich über die Wünsche
der Menschen, die einem am nächsten stehen, hinwegzusetzen, denn
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