Kohlenstaub (German Edition)
nahestehen: Nachbarn,
Freunde, Kumpel, sogar Eheleute.«
Die kleine Kapelle
war überfüllt, Pastor Hanning war beliebt gewesen. Natürlich war auch mein
Kollege Kruse gekommen. Ich sah ihn eindringlich an. »Wir nehmen heute Abschied
von Pastor Hanning, der unter tragischen Umständen zu Tode gekommen ist. Sein
Tod gibt uns Rätsel auf, Rätsel, die er nun mit ins Grab nimmt. Etwas geht vor
sich, hier, jetzt, unter uns.«
In der dritten
Reihe saß Superintendent van Diecken und nickte mir zu. Das gab mir den Mut,
deutlicher zu werden.
»Wir können uns
entscheiden: Dulden wir das Böse in unserer Mitte oder bekämpfen wir es?
Geheimnisse, unaufgedeckte Schuld, können zu einem Fäulnisherd werden, der die
ganze Gemeinschaft vergiftet wie ein Stück verdorbenes Fleisch in einem
Brunnen. Der Verstorbene hat seine inneren Kämpfe ausgefochten. Nach allem, was
ich von ihm und über ihn weiß, wollte er reinen Tisch machen. Ich lade alle
dazu ein, es ihm gleichzutun. Damit handeln wir im Sinne des Verstorbenen und
in Christi Geist – und lassen dem Dunklen, das sich unter uns breitmacht,
keinen Raum. Sie können mich gerne jederzeit ansprechen.«
Ich blickte wieder
in die Runde. Hatte ich mich zu weit aus dem Fenster gelehnt?
Luschinski, der
erst während meiner Ansprache die Kapelle betreten hatte, hob den Daumen.
Der Südwestfriedhof
glänzte im Frühlingskleid, als wir Hannings sterbliche Überreste zu Grabe
trugen. In den Zweigen zwitscherten Vögel, und auf den Gräbern blühten Tulpen,
umrankt von Efeu. Der Autolärm der nahen Bundesstraße schallte herüber.
Kommissar Kellmann
ging auf dem Weg zum Grab neben mir. »Klare Worte, Fräulein Gerlach«, befand
er. »Doch der, den es angehen könnte, war nicht da!«
»Wen meinen Sie?«
Ich wollte den Verdacht nicht laut aussprechen.
»Ach, kommen Sie,
das wissen Sie doch!«
Ich erwiderte
nichts darauf.
Kellmann drehte
eine Zigarette zwischen den Fingern, ließ sie allerdings unangezündet. »Der
gehörnte Ehemann. Das pfeifen doch die Spatzen von den Dächern!«
Wir erreichten das
frisch ausgehobene Erdloch. Die Träger ließen den Eichensarg hinab. »Erde zu Erde.
Asche zu Asche. Staub zu Staub!« Ich ließ eine Schaufel voll dunkler Erde auf das
Holz prasseln. Die Sargträger waren einige Schritte zurückgetreten, ich sprach
ein Gebet.
Hinter mir hatten
sich die Trauergäste aufgestellt. Hannings Bruder stand ganz vorne. Er stützte
seine verwirrte Mutter, deren Gesichtsausdruck nicht erkennen ließ, ob sie die
Situation erfasste. Hannings Schwägerin, auffällig gekleidet mit einem
breitflächigen Hut, hielt den Arm der alten Dame auf der anderen Seite.
Für das Presbyterium
war Rabenau gekommen, begleitet von seiner Tochter Lena. Ihre roten Haare
leuchteten mit den Frühlingstulpen um die Wette.
Kaminski trat an
das Grab, gefolgt von den Damen Jankewicz und Kreuter nebst Manni und seinem
groß gewachsenen Kumpel. Hinter ihm bemerkte ich Idschdi und seine Frau Marie.
Kaminski drückte
Hannings Hand und verbeugte sich leicht. Nichts deutete auf seine enge
Verwandtschaft mit dem Verstorbenen hin. Dann wanderte sein Blick in meine
Richtung, und er nickte mir zu.
Weil ich ihm ins Gesicht
sah, bekam ich nicht mit, wie Fräulein Kreuter stolperte. Sie taumelte, ruderte
mit den Armen und versuchte sich zu fangen, wobei für einige Momente nicht
abzusehen war, ob es ihr gelingen würde. Um ein Haar wäre sie ins Grab
gefallen. Zu ihrem Glück hielt Idschdi sie von hinten so lange fest, bis sie
wieder Boden unter den Füßen hatte.
Aus dem
Hintergrund trat Kellmann hinzu und postierte sich neben der jungen Dame. Doch
anstatt sie zu stützen, rümpfte er die Nase. Er murmelte etwas vor sich hin, das
klang wie: »Blau wie ein Veilchen, das Fräulein«, dann führte er die
Schwankende davon.
Manni und sein
Kumpel rempelten sich an und feixten. Hatten sie der jungen Frau einen Stoß
versetzt?
Das alles erklärte
jedoch nicht die Reaktion von Frau Jankewicz. Die zierliche blonde Frau ließ
die Blume, die für das Grab vorgesehen war, achtlos auf den Weg fallen. Dann
schlug sie die Hände vors Gesicht und brach in bitterliches Weinen aus. Tränen
rannen ihr über die Hände, und sie konnte nicht aufhören zu schluchzen.
Ich stand auf der
anderen Seite neben den Angehörigen, zu weit von ihr entfernt, um sie zu
trösten. Meine Freundin Rosi trat auf die Weinende zu und berührte sie. Frau
Jankewicz zuckte zusammen. Dann wandte sie sich, immer noch laut
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