Kohlenstaub (German Edition)
schluchzend,
ab und lenkte ihre Schritte in Richtung Friedhofstor.
Die Verbliebenen
sahen ihr erschüttert nach. »Ich wusste gar nicht, dass Hanning ihr so nahe
stand«, sagte Rabenau, und seine volle Stimme trug den Satz durch die
versammelte Trauergemeinde.
Spätestens jetzt wussten
es alle.
Am Ausgang sah
ich, dass Kellmann Fräulein Kreuter bei den Schultern gepackt hatte und in
einen Streifenwagen verfrachtete. Die Gelegenheit, ihm meinen Drohbrief zu
zeigen, war verpasst.
Rosi startete
ihren Motorroller. »Soll ich dich mitnehmen?« Ich blickte auf meinen schwarzen
engen Rock und schüttelte entsetzt den Kopf. Rosi raffte ihren Kleidersaum und
schwang sich anmutig in den Ledersattel. »Bis gleich«, rief sie mir zu und fuhr
knatternd in einer Qualmwolke davon.
Kaminski fand sich
an meiner Seite ein. Gemeinsam schlossen wir uns dem Trauerzug an, der sich
langsam und unaufhaltsam vom Friedhof zum Gemeindehaus bewegte. Während
Kaminski auf mich einsprach, dachte ich, dass dies die merkwür- digste
Beerdigung war, an der ich jemals teilgenommen hatte. Würdig hatte sie sein
sollen, der Position des Dahingeschiedenen entsprechend. Nun war alles ganz
anders gekommen, und ich hoffte, dass das Andenken des Verstorbenen nicht
beschädigt worden war. Denn ich hatte den Kollegen geschätzt. Daran änderte
auch sein mutmaßlicher Fehltritt nichts.
»Auf dem Haus da
liegt ein Fluch.«
»Hömma, Trudi,
spinnst du jetzt völlig oder wat?« Rabenau schlürfte geräuschvoll aus seiner
Tasse. Seine Tochter Lena saß beim Beerdigungskaffee zwischen den beiden und schaute
von ihm zur Kioskbetreiberin und wieder zurück.
»Da sind doch
schon mal zwei drin umgekommen, weißt du noch?«
»Im Krieg. Ist
lange her. Wen interessiert dat noch?«
Ich horchte auf.
»Jetzt sagen Sie
doch mal was, Fräulein Pastor!«, wandte sich der Dachdecker an mich.
Bevor ich
reagieren konnte, fuhr Trudi fort: »Und ich sach’s dir: einer tot, der andere
nicht. Den Pastor hat’s erwischt, und die Mutter lebt noch.« Sie deutete mit
dem Kopf zur alten Frau Hanning, die neben ihrer Schwiegertochter platziert worden
war und aussah, als wäre sie in Gedanken ganz woanders. »Und davor schon mal
zwei Tote. Da soll sich noch einer auskennen. Na? Hat das Haus nicht mal deinem
Vater gehört?«
Rabenau schüttelte
den Kopf. »Ist aber schon was her. Ich muss mich mit diesen Sachen nich
auskennen, und du schon gleich dreimal nicht. Überlass das mal der Polizei.«
»Ach was, Polizei,
die nützt auch nix, wenn’s nicht mit rechten Dingen zugeht.«
»Bei dir im Kopf
geht’s nicht mit rechten Dingen zu«, erwiderte Rabenau grob. »Ihr Ostpreußen,
ihr seht überall Gespenster!«
Trudi presste
beleidigt die Lippen aufeinander. »Du sei mal ganz still. Ich hab mein Geschäft
aufgebaut, da hast du noch in den Windeln gelegen! Ihr seid ja immer so fies
auf die Flüchtlinge – aber was hättet ihr ohne uns gemacht?« Sie stemmte die
Hände in die Hüften.
In diesem Moment
sprach Schwester Käthe Rabenaus Tochter an. »Lena!«
Die junge Frau
drehte den Kopf so schnell, dass die roten Locken flogen: »Ja, Schwester?«
»Ich geh gleich
mal mit zu euch und seh nach deiner Mutter!«
Ich nutzte die
Gelegenheit, mich einzuschalten: »Dürfte ich auch mitkommen, Lena? Ich glaube,
ich kenne deine Mutter noch nicht.«
Schwester Käthe
nickte. »So ist’s recht, Fräulein Gerlach.«
Meinen Talar und
meine Mappe deponierte ich im Gemeindebüro. Dabei fiel mein Blick auf die
Schreibmaschine: ein Modell von IBM mit Kugelkopf.
Sieh an, dachte ich, als ich die Schrifttypen mit denen auf meinem Drohbrief
verglich. Es waren haargenau dieselben. Oder waren es die gleichen? Jetzt wurde
die Liste der Verdächtigen lang.
Obenan stand mein
Kollege Kruse.
»Ich bitte um
Entschuldigung für die Unordnung«, sagte Rabenau verlegen, als er meinen Blick
auf die verdorrte Zimmerpflanze bemerkte. Eine körperlose männliche Stimme sang
über Herz, Schmerz, Liebe und Triebe. Rabenau schaltete das Kofferradio aus.
Nun war es still.
Auf dem Tisch lag
eine Ausgabe der Jugendzeitschrift Bravo. Ich hielt Ausschau nach einer
Schreibmaschine, entdeckte jedoch keine. Nur eine Nähmaschine auf einem
Tischchen am Fenster. Daneben schnarchte ein Hund, eine hässliche
Promenadenmischung.
»Unter welcher
Krankheit leidet Ihre Frau eigentlich?«
»Genaues weiß man
nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Mal liegt sie den ganzen Tag im Bett. Am
nächsten Tag steht sie auf, ist
Weitere Kostenlose Bücher