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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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abgekauft?«
    »Kann man so
sagen, ja. Für ‘n Appel und ‘n Ei.«
    »Dann hat der alte
Rabenau aus Lewinskys Unglück Kapital geschlagen?«
    Luschinski legte
mir die Hand auf den Rücken. »Schauen Sie, Fräulein Gerlach. Das waren andere
Zeiten damals. Das war üblich so. Man kaufte den Juden ihr Eigentum ab, bevor
es ihnen weggenommen wurde. Und man zahlte so viel, wie man erübrigen konnte.
Nicht Rabenau hat Lewinskys Existenz zerstört, sondern die Nazis.«
    Plötzlich wurde
ich wütend. »Ach ja. Und wer waren die Nazis? Etwa Astronauten? Nicht die
Leute, die hier lebten? In dieser Stadt, in diesem Land?«
    Die
Nazis. Die sollen immer an allem schuld gewesen sein. Doch wer hatte sie
gewählt? Wer hatte zugelassen, dass sie an die Macht kamen? Wer war
verantwortlich? Für den Krieg? Für das Elend, den Hunger, die Flucht? Für all
die toten Menschen? Die zerstörten Seelen, die vernichteten Leiber? Für den Tod
meines Vaters? Den Tod meines Bruders?
    Unwillkürlich war
der Reporter einen Schritt zurückgewichen.
    Ich riss mich
zusammen. »Entschuldigung. Erzählen Sie weiter, bitte.«
    »Der alte Rabenau
hat sich im Grunde anständig verhalten. Die Lewinskys durften in dem Haus
bleiben, mit Wohnrecht auf Lebenszeit. Sie wollten nicht mit der Tochter ins
Ausland. ›Einen alten Baum verpflanzt man nicht‹, sagte der alte Lewinsky
immer. Wahrscheinlich haben sie nicht geglaubt, dass ihnen wirklich was
passiert. Aber die Situation wurde zunehmend bedrohlich. Die alten Leute
trauten sich nicht mehr aus dem Haus, hat meine Mutter erzählt. Sie hat sie
manchmal noch besucht. Heimlich, abends. Einmal hat sie den Pastor dort
getroffen.«
    »Welchen Pastor?«
    »Kruse. Damals
hatte er gerade hier angefangen. Er kam als junger Mann in die Siedlung.«
    »Und Kruse hat die
Lewinskys besucht? Juden? Obwohl das gefährlich war?«
    »Kruse war nicht für
die Nazis. Bei dem anderen Pastor, der damals hier war, wusste man das nicht so
genau. Er hatte enge Kontakte zu einem Unternehmer, der der Partei nahestand.
Mal vorsichtig ausgedrückt. Dieser Unternehmer hat der Gemeinde einiges
gespendet. Für das Gemeindehaus zum Beispiel.« Er lachte. »Wie heißt es doch so
schön? Geld stinkt nicht. Kruse war anders. Der hat sich nicht angebiedert. Der
sagte, was er dachte.«
    Ich musste den
Reporter ungläubig angeschaut haben, denn er fuhr fort. »Das hätten Sie ihm
nicht zugetraut, was? Diesem Kerl mit den frauenfeindlichen Sprüchen?«
    Ich schüttelte den
Kopf.
    »Jede dunkle Wolke
hat einen silbernen Rand«, sagte Luschinski philosophisch und legte die Hände
um die Kamera, die wie immer vor seiner Brust baumelte. Er sah mich an, und
wieder zwinkerte er wie … ja, wie mein Vater früher, wenn er mir seine
Lebensweisheiten mitteilte. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Blitzschlag.
    In Gedanken hörte
ich Vaters raue Stimme: »Es ist alles nicht so schlimm, wie es scheint.« Leider
war es doch so schlimm geworden. Sogar noch schlimmer. Ich war dorthin gelangt,
wo die Nacht am dunkelsten ist.
    Lange hatte ich
gebraucht, bis ich wieder Leben in mir spürte. Seither betrachtete ich das
Leben als Geschenk. Einer der Gründe, warum ich mich für den Beruf der Pastorin
entschieden hatte.
    »Fräulein
Gerlach?«
    »Entschuldigung«,
sagte ich ein weiteres Mal. »Was haben Sie gesagt?«
    »Jedenfalls hat
Kruse die Lewinskys regelmäßig besucht. Soweit ich weiß, haben sie sich später
sogar taufen lassen.«
    »Wegen Kruse?«
    »Wer weiß?
Vielleicht haben sie gehofft, dadurch ihre Haut zu retten. Aber die Nazis
hatten es ja nicht so mit der Religion. Denen ging es um die Rasse. Jedenfalls
sickerte allmählich durch, was mit den Juden passierte. Als die Lewinskys den
Bescheid bekamen, sie sollten zur Steinwache, hatten sie die schlimmsten
Befürchtungen. Er war damals auch schon an die siebzig und hat gesagt: ›Lieber
sterbe ich zu Hause.‹ Und dann haben sie sich gemeinsam vergiftet.«
    »Was für eine
traurige Geschichte!«
    »Allerdings.«
    Schweigend blieben
wir vor dem Unglückshaus stehen, versunken in Gedanken an die Vergangenheit.
    Geräusche aus dem
Inneren schreckten uns auf. Rabenau trat mit einem der Uniformierten vor die
Tür. Sein Gesicht wirkte eingefallen. Unter den Augen waren dunkle Tränensäcke
sichtbar.
    Entmutigt zuckte
der Dachdecker mit den Achseln. »Wir haben nichts gefunden, keine Spur, gar
nichts. Mir war eingefallen, dass wir gestern nicht auf dem Dachboden
nachgeschaut haben. Da gibt es ein

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