Kohlenstaub (German Edition)
geschafft. Der packt so etwas gar nicht.« Er knallte die
Tasse auf den Tisch.
Ich sah den sonst
so sanften Mann erstaunt an. Plötzlich entwickelte er Temperament. Wäre er im
Affekt zu einer Gewalttat fähig?
Er sank wieder in
sich zusammen. »Entschuldigung«, murmelte er. »Die Jungen haben mir zeitweise
viel Ärger bereitet. Besonders Detlef. Er war der Rädelsführer.«
Ich nickte und
blickte mich nach Luschinski um. Seine spöttischen Kommentare fehlten mir.
Aus dem
Augenwinkel beobachtete ich, wie Kruse sich an Superintendent van Diecken
wandte. Kurz darauf kamen die beiden Herren auf mich zu. »Schwester Gerlach? Im
Gemeindebüro wartet ein Ehepaar. Sie wollen ihr Kind taufen lassen. Könnten Sie
sich bitte darum kümmern?«
Kruse ergänzte
vorwurfsvoll: »Sie sagen, das Taufgespräch hätte um vierzehn Uhr bei Ihnen im
Pfarrhaus stattfinden sollen. Jetzt ist es schon nach halb drei.«
Ich schluckte.
Tatsächlich hatte ich den Termin vergessen. Und der Superintendent erfuhr nun
von meiner Nachlässigkeit. Unsicher sah ich zu ihm hinüber, doch er nickte mir freundlich
zu. »So etwas kann passieren. Vor allem im Moment, bei der Aufregung. Sie
können das Versäumte jetzt ja nachholen.«
»Bei der Suche
können Sie uns ohnehin nicht helfen«, setzte Kruse nach.
Ich erhob mich und
machte mich auf den Weg zum Gemeindebüro. Meinem Kollegen warf ich einen
vernichtenden Blick zu.
»Ja. Ja, ganz
recht! Auch wenn Sie es nicht genau wissen! Wir gehen kein Risiko ein! Zur
Sicherheit schicken wir jemand!«, hörte ich Kellmann durch die angelehnte Tür
in den Telefonhörer bellen.
Das Ehepaar
wartete auf dem Flur vor dem Büro. Der junge Mann, dessen dunkle Haare mit
Frisiercreme nach hinten gekämmt waren, hielt die Hand der jungen Mutter. Diese
hatte sich mit Rock und Pumps schick gemacht.
Beide wirkten
schüchtern. Offensichtlich wussten sie nicht, ob sie mich ansprechen sollten.
Der Mann fasste sich schließlich ein Herz: »Wir möchten gerne mit dem Herrn
Pastor sprechen.«
»Ich bin hier die
Pastorin und würde Ihnen gerne weiterhelfen.«
»Ach so. Ja …«
»Ist das Ihr Kind,
das Sie zur Taufe bringen wollen?« Ich schaute in den Kinderwagen.
Der Säugling lag
zwischen weiß bezogenen Kissen und schlief. Der winzige Kopf war von einem rosa
Mützchen bedeckt.
»Ein Mädchen?« Ich
blickte die junge Frau an. Sie nickte verlegen.
»Die ist niedlich!
Wie heißt sie denn?«
»Ulrike«, lautete
die Antwort des stolzen Vaters.
»Kommen Sie!«,
forderte ich die beiden auf, ohne zu wissen, wohin wir gehen sollten. »Wir
suchen uns einen freien Raum.«
Schließlich ließen
wir uns in der Diakonissenstation nieder. Der Säugling war mittlerweile
aufgewacht und schrie. Die junge Mutter nahm ihn aus dem Kinderwagen, drückte
ihn an ihre Brust und wiegte ihn hin und her. Das Kind beruhigte sich.
»Ist das Ihr
erstes?«, wollte ich wissen.
»Ja. Unsere
Erstgeborene. Sie ist erst vier Wochen alt«, erklärte der Vater, während die
Mutter weiter das Kind an sich gedrückt hielt. »Heute haben wir sie das erste
Mal mit nach draußen genommen.«
»Dann wollen wir
einmal einen Taufspruch für die kleine Ulrike aussuchen.«
Eine halbe Stunde
später verabschiedete ich die Familie und wollte mich wieder in den
Gemeindesaal begeben. Unterwegs traf ich Idschdi und Marie. Sie waren in
Begleitung eines älteren Herrn in Anzug und Hut.
»Guten Tag!«,
grüßte ich überrascht. »Ich dachte, Sie wären im Urlaub.«
»Schon zurück«,
sagte Marie. »Sonntag Dienst.«
»Haben Sie schon
erfahren, dass Manni Jankewicz verschwunden ist?«
»Hat Pastor uns
schon gesagt.«
»Sie könnten
suchen helfen! Sie kennen das alte Pfarrhaus doch wie Ihre Westentasche.«
Idschdi nickte.
»Einen Moment,
bitte!« Der ältere Herr schob sich nach vorne. »Gestatten, mein Name ist
Rosenberg. Ich bin Rechtsanwalt«, stellte er sich vor.
»Gerlach«,
erwiderte ich. »Ich bin Pastorin hier.«
»Angenehm. Dürfte
ich Sie kurz sprechen?«
»Jetzt?«
Er sagte auf
Polnisch etwas zu Idschdi. Der Hausmeister nickte.
»Gibt es einen
Ort, an dem wir ungestört sind?«, übersetzte der ältere Herr.
»Geht es um etwas
Bestimmtes? Etwas Geheimes?«
Idschdi sprach auf
Rosenberg ein. »Mein Mandant schlägt vor, die Kirche aufzusuchen«, dolmetschte
dieser.
»Darf ich fragen,
worum es sich handelt?«
»Das ist eine
heikle Angelegenheit. Ich würde es Ihnen gerne in Ruhe erklären.«
Ich war erstaunt,
dass er mich sprechen wollte und
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