Kohlenstaub (German Edition)
auf den Kopf gestellt und nichts gefunden. Alle
wirkten erschöpft und bedrückt.
»Genug für heute!«,
bestimmte Kellmann gegen halb neun im Gemeindesaal. »Jetzt ist es zu dunkel
geworden. Leider ist unsere Suche ergebnislos geblieben. Auch durch die Zeitung
gab es keine weiterführenden Hinweise.« Er nickte seinem Assistenten zu.
»Morgen geht’s weiter! Dann ist Samstag, da habt ihr frei und könnt den ganzen
Tag helfen!«
Die Männer, die
ihre Gespräche kurz unterbrochen hatten, fingen wieder an zu reden. Es war
Freitag, und auch Mannis Verschwinden würde sie nicht davon abhalten, ihr
Bierchen trinken zu gehen. »Auf zum Eck am Park!«, schlug einer vor. Die anderen
nickten. Der erste Trupp erhob sich und verschwand.
Kellmann strich
sich über die müden Augen, murmelte etwas von »Nachtschicht einlegen« und
verzog sich ins Gemeindebüro. Sein Assistent folgte ihm.
Zurück blieben
Kruse und Kaminski. »Ich habe nach Ihnen gesucht. Sie sehen blass aus, Fräulein
Gerlach«, bemerkte der Lehrer besorgt.
»Ich hatte soeben
eine längere Unterredung in meinem Amtszimmer zu Hause«, berichtete ich und
warf meinem Kollegen einen scharfen Blick zu. »Mit Idschdi, Marie und ihrem
Rechtsanwalt.«
Kruse verzog keine
Miene. »Interessant, Schwester Gerlach«, erwiderte er nur.
»Ja, das war
wirklich eine interessante Geschichte. Vielleicht sollten wir beiden uns auch
einmal darüber unterhalten.«
»Nicht jetzt,
Schwester Gerlach«, wehrte Kruse ab. »Manni sollte im Moment unsere erste Sorge
sein.«
»Ich glaube, die
Sache duldet keinen Aufschub. Oder können Sie ausschließen, dass die Geschichte
mit dem aktuellen Fall zu tun hat?«
»Dann sprechen Sie
mit Kellmann«, entschied Kruse. »Ich gehe jetzt heim.«
»Mutti wartet«,
murmelte ich.
»Wie bitte?«
»Ach, nichts.«
Kellmann hatte
sich am Schreibtisch breitgemacht, eine Zigarette in der Hand und die
Lesebrille auf der Nase. »Wieder nichts«, murmelte er. »Hast du bei allen
Reedereien nachgefragt?«
Der Assistent, ein
schmächtiger Mann mit Aknenarben, nickte. Im fahlen Neonlicht wirkten die
Gesichter der beiden bleich und angespannt. »Nirgendwo vorstellig geworden. Nicht
unter seinem Namen jedenfalls.«
Keiner der beiden
beachtete mich.
»Der Hinweis mit
dem Bahnhof in Bielefeld?«
»Dem sind die
Kollegen nachgegangen. Eine Verwechslung. Der Junge sah Manni nur ähnlich.«
»Was ist mit der
Tante in Hamm?«
»Haben wir
überprüft. Dort ist er nicht aufgetaucht.«
»Und die
Autobahnpolizei? Vielleicht ist er per Autostopp gefahren?«
Der Assistent
schüttelte den Kopf. »Ebenfalls Fehlanzeige.«
»Weitere Spuren?«
»Nichts
Relevantes.«
»Langsam wird’s
eng.«
»Falls er noch
lebt …«
»Wir kommen an die
kritische Zweiundsiebzig-Stunden-Marke. Morgen ist der dritte Tag. Wir
verstärken die Mannschaft! Weiten den Umkreis aus …«
»Warum sind
zweiundsiebzig Stunden kritisch?«, fragte ich dazwischen.
»Wegen der
Dehydrierung. Drei Tage ohne Wasser können tödlich sein«, sagte Kellmann
automatisch.
Dann sah er auf.
»Das Fräulein Gerlach! Was verschafft mir die Ehre?«
»Könnte ich Sie
kurz sprechen, Herr Kellmann?«
»Geht es um den
aktuellen Fall?«
»Indirekt.
Vielleicht«, räumte ich ein.
»Machen Sie’s
kurz!«
Im Telegrammstil
erzählte ich die Geschichte von Hannings Pfarrhaus, dem früheren
Gemischtwarenladen und dem Schicksal der Familie Lewinsky. Kellmann hörte
konzentriert zu, nickte und zündete sich die nächste Zigarette an. »Also Sie
vermuten einen Zusammenhang mit dem Tod von Hanning und möglicherweise mit dem
Verschwinden von Manni«, stellte er abschließend fest. Mir war nicht klar, ob
er es ironisch oder ernst meinte.
»Das könnte doch
durchaus sein, oder nicht?«
»Und wen genau
hätten Sie dann im Verdacht?« Kellmanns Augen waren mittlerweile fast in den
tiefen Höhlen verschwunden, die die Müdigkeit in sein Gesicht gegraben hatte.
Die Lesebrille hatte er in sein bereits gelichtetes Haar geschoben.
»Rabenau
vielleicht? Schließlich würde die Angelegenheit seinen Vater belasten. Posthum,
gewissermaßen.«
»Reicht das aus
als Mordmotiv?«, fragte eine mir wohlbekannte Stimme von der Tür her. »Und dann
noch ein Gemeindeglied verdächtigen. So was tut man doch nicht, Fräulein
Pastor!«
»Luschinski!«,
rief ich erfreut.
Der Kommissar
runzelte die Stirn. »Haben Sie mal wieder gelauscht, Luschinski?«
Der Angesprochene
grinste. »Eine meiner bedeutendsten Fähigkeiten!
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