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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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kommen.
    Du
kannst nicht vor dir selbst weglaufen, ertönte in mir die Stimme meines Mentors. Ich vernahm ihn im
Geist so deutlich, als stünde er neben mir.
    Ich schloss die
Augen. Weitere Stimmen quollen aus meiner Erinnerung hervor, einige weibliche,
meist jedoch männliche Stimmen. Sie riefen laut oder murmelten vor sich hin.
Sie redeten durcheinander, und ich konnte die Worte nicht auseinanderhalten.
    Erst allmählich
kristallisierten sich verständliche Sätze heraus. Um genau zu sein: fast
verständliche.
    »Das hassu getz
davon!«, nuschelte es. Und die Stimme entsprang keinesfalls meiner Phantasie,
sondern war ausgesprochen real. Der Sprecher befand sich draußen im Park.
    Ich schlug die
Augen wieder auf und erblickte nur wenige Meter von der Hauswand entfernt
mehrere dunkle Gestalten.
    Die Männer waren
von ihrem Zug durch die Gemeinde zurückgekehrt und führten nächtliche
Gespräche. Ausgerechnet unter meinem Fenster. Neugierig beugte ich mich vor. Da
ich das Licht nicht angeknipst hatte, würden sie mich kaum bemerken.
    »Deine Alte haddir
Hörner aufgesetz, wa?«, rief einer, und die Stimme hörte sich an wie die von
Rabenau, nur eben angetrunken. »Wieso schmeißtu sie nich einfach raus.«
    »Kanninich.
Gehtnich. Gehteinfachnich«, ertönte eine weitere Stimme, von der ich annahm,
dass sie Jankewicz gehörte. In alkoholisiertem Zustand und ohne den gewohnt
ruppigen Tonfall klang er nicht sonderlich imponierend.
    »Wieso nich?«
    »Glaubssu auch,
ich hab ihn umge… hicks …brach?«
    »Wennste in so
’nem Zustand warss wie jetzt gerade, wohl kaum.« Diese Stimme kannte ich auch.
Luschinski.
    »Wenn ich se
rausssch… rauschsche…«, er brachte das Wort nicht über die Lippen, »glauben
alle, ich war’s.«
    »Ja. Rausch,
genau. Schlaf du erst mal deinen Rausch aus!« Luschinski hatte die Lage wie
immer im Griff. »Ich muss getz ersma pieseln.«
    Eine der Gestalten
bewegte sich ein paar Meter weit weg und drehte sich um.
    »Und getz ist
aunoch der Junge wech.«
    »Du gehst besser
ma da rein.« Das klang nach Rabenau. »Heut Abend geht ganix mehr. Bevor noch
die Kaline da oben wach wird und wieder rumschnüffel…«
    Ich zuckte
zusammen und wagte kaum zu atmen.
    »Das Frollein
Pastor!«
    »Ischa schon ‘n
lecker Schätzken, aber neugierich, neugierich … schöne Fraun soll man sehn und
nich hörn.«
    Die dritte Gestalt
näherte sich wieder.
    »Ey, Luschinski,
warum gehsse nich rauf und schnappse dir? Ey, die mag dich … besorgsses ihr mal
ordntlich … dem Frollein Pastor …« Wieder Rabenau.
    Ich schnappte
empört nach Luft.
    »Du gehst getz
rein. Haste ‘n Schlüssel bei? Oder müssen wa deine Alte wecken?« Luschinski.
»Und wir annern gehn nach Hause.«
    »Will nich nach
Hause. Will nich nach Hause. Die Frau iss krank. Da will ich nich hin.«
Rabenaus Stimme klang weinerlich.
    Gebrabbel unter
meinem Fenster.
    Dann nahmen zwei
der Gestalten – vermutlich Rabenau und Luschinski – die dritte, den schwer
betrunkenen Jankewicz, in die Mitte und schleiften ihn davon. Ich zog mich ins
Zimmer zurück.
    Rosi war von den
Stimmen aufgewacht und rieb sich die Augen. »Was ist los? Wo bin ich?«
    »Bei mir im
Pfarrhaus. Rosi! Du hast einen sitzen und bist eingeschlafen. Am besten, du bleibst
hier. Mit dem Moped kannst du nicht mehr los.«
    In diesem Moment
klingelte es Sturm.
    »Wer kommt denn
jetzt noch?«
    Ich hatte eine
Ahnung, wer unten stand. Sie wurde zur Gewissheit, als ich durch das Klofenster
blickte.
    »Mach auf,
Martha!«, rief Luschinski zu mir herauf. »Der Janke … Janke find’t sein
Schlüssel nich!«
    »Macht nicht so
einen Radau!«, schimpfte ich leise. »Die ganze Nachbarschaft wird wach!«
    »Nachbarschaft,
welche Nachbarschaft? Komm runter, Martha. Bitte, bitte!«
    Seufzend machte
ich mich auf den Weg.
    Mein Untermieter
war vor der Haustür zusammengesunken. »Hopp, hopp«, ermutigten die anderen
beiden. Sie packten Jankewicz unter den Achseln. »Eins – zwei – eins – zwei:
Hauruck! Hauruck!«
    Schließlich stand
der Unglücksrabe auf seinen Beinen, wenn auch recht wackelig. Mit vereinten
Kräften schoben wir ihn in den Hausflur.
    Vor der
Wohnungstür meiner Untermieter sahen wir uns ratlos an.
    »Und jetzt?«
    »Hasse ‘n
Schlüssel, Martha?«
    Ich schüttelte den
Kopf.
    »Dann kommen wa
alle hoch zu dir!«
    »Ich glaub’s euch
wohl!«
    Die Männer
palaverten weiter, bis von innen Geräusche erklangen.
    Gleich darauf
öffnete Fräulein Kreuter im rosa Morgenmantel.

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