Kohlenstaub (German Edition)
frisch gewaschenen, ehemals weißen Oberhemden trübte
das Idyll und erinnerte daran, dass wir uns mitten im Kohlenpott befanden.
Ein ganz normaler
Samstag in der Siedlung. Man hätte die schrecklichen Ereignisse vergessen
können, hätte da nicht der Streifenwagen vor dem Gemeindehaus geparkt.
Kommissar Kellmann
schaute uns grimmig an. »Schon fast neun. Wo bleiben die Männer? Haben wohl
gesoffen letzte Nacht.«
Nicht einmal der
Kaffee, den Schwester Tabea servierte, besserte seine Laune. »Und Sie! Sie
können wir hier nicht brauchen. Kümmern Sie sich lieber um die Hinterbliebenen,
wenn Sie hier schon den Pastor machen.«
»Die
Hinterbliebenen?«, fragte ich erschrocken. »Ist Manni tot?«
Schwester Käthe
schüttelte langsam den Kopf. »Es gibt keine Neuigkeiten. Sie haben ihn noch
nicht gefunden.«
»Vielleicht kann
Giovanni bei der Suche helfen«, schlug ich vor, und der schüchterne Junge an
meiner Seite deutete ein Kopfnicken an.
Kellmann
ignorierte den Hinweis und schimpfte weiter: »Wo bleiben sie denn bloß! Die
Streife hab ich schon losgeschickt. Aber die kennen sich in der Siedlung nicht
aus. Für heute Nachmittag hab ich Verstärkung angefordert! Im Radio kommt auch
eine Durchsage. Langsam wird’s eng!« Er hatte sein Sakko ausgezogen und thronte
hemdsärmlig hinter dem Schreibtisch.
Im nächsten Moment
ging die Tür auf, und sie kamen herein.
Jankewicz mit rot
geränderten Augen und Bartschatten um das Kinn, eine noch feuchte Haarsträhne
über die Halbglatze gezogen. Luschinski, der nach dem nächtlichen Gelage viel
von seinem jungenhaften Charme eingebüßt hatte und bei dem ich erstmals
Tränensäcke wahrnahm. Kaminski erschien als einziger frisch mit adrett
gezogenem Scheitel und korrekt sitzender Krawatte.
»Jankewicz! Schäm
dich! Der Sohn ist weg, und du säufst dir einen an«, schalt Schwester Käthe.
»Hast ja immer noch eine Fahne, ich riech es bis hier!«
Jankewicz murmelte
eine Entschuldigung.
»Wo bleibt
Rabenau?«
Die Männer
schauten betreten zu Boden und schwiegen.
»Egal. Wir können
nicht länger warten. Auf geht’s. Wo fangen wir an?«
Wieder öffnete
sich die Tür, und der Trainer von Mannis Mannschaft betrat den Raum. »Ich hab
ein paar von unseren Jungs mitgebracht. Sie wollen helfen. Warten draußen.« Er
fuhr sich durch das dunkle, kurz geschnittene Haar. »Hoffentlich finden wir ihn
bis zum Endspiel heute Nachmittag! Er hat sich so darauf gefreut.«
Hinter dem
bulligen Trainer tauchten Idschdi und Marie auf.
Kruse stand
plötzlich neben mir und betrachtete Maries obere weibliche Rundungen. Dann
glitt sein Blick tiefer auf das weit geschnittene Kleid. Offensichtlich
bemerkte er Maries Schwangerschaft erst in diesem Moment.
»Deshalb will der
Pole unbedingt in Hannings Haus!«, ächzte er.
ACHTZEHN
»Wer ist da?«,
rief eine Mädchenstimme durch das Treppenhaus.
»Lena? Hier ist
Pastorin Gerlach. Ich komme jetzt rauf!«
»Ja? Mutter geht
es nicht gut.«
Doch ich befand
mich bereits auf halber Höhe.
Jemand folgte mir.
Als ich auf dem Treppenabsatz stehen blieb und mich umdrehte, erblickte ich
Giovanni.
»Was machst du
denn schon wieder hier? Ich dachte, du bis mit deinen Kumpels unterwegs!«
»Wawawawa…«,
setzte der junge Mann an, doch ich schnitt ihm das Wort ab. »Jetzt nicht! Ich
muss was mit den Rabenaus besprechen. Geh zu den anderen und hilf bei der
Suche!« Wie ein gescholtener Schuljunge schlich er die Treppe hinab. Ich erinnerte
mich, dass Kaminski ihn als zurückgeblieben beschrieben hatte. Wahrscheinlich
traf das zu.
Bei Rabenaus in
der Küche stand ein schmales junges Mädchen. Ich erkannte es nicht, obwohl es mich
an jemanden erinnerte. Rotblonde Locken fielen auf den Kragen eines
Herrenhemdes, das dem zierlichen Geschöpf viel zu groß war.
»Hast du eine
Schwester?«, fragte ich Lena.
Erst, als das
Mädchen im Hemd sich mir zuwandte, erkannte ich Frau Rabenau. Bei meinem
letzten Besuch hatte sie im Bett gelegen wie eine alte Frau. Jetzt hüpfte sie
wie Rumpelstilzchen von einem Bein auf das andere, doch die tiefen Furchen vom
Mund zur Nase verrieten ihr tatsächliches Alter. Sie musste um die vierzig
sein.
»Möchtest du ein
Plätzchen?«, fragte sie mich mit Kleinmädchenstimme und hielt mir einen undefinierbaren
Klumpen hin.
»Mutter …«,
beschwichtigte Lena.
»Was denn?« Sie
fuhr mit dem Zeigefinger durch eine Schüssel und leckte ihn ab. »Sieh mal! Für
noch mehr Plätzchen! Heute backen wir!«
»Möchtest du
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