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Kohlenstaub (German Edition)

Kohlenstaub (German Edition)

Titel: Kohlenstaub (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Kathrin Koppetsch
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er mich
loswerden, weil ich zu viel wusste? Man musste kein Arzt sein, um
festzustellen, dass Manni dringend Hilfe brauchte. Wie lange lag er schon in
seinem Versteck, Stunden, Tage? Am Hinterkopf ertastete ich eine Beule. Über
dem Auge nahm ich eine Blutkruste wahr.
    Nur ein schmaler
Streifen Licht fiel durch den Spalt in der Bretterwand. Jemand – war es
tatsächlich Giovanni gewesen? – hatte den Verschlag wieder geschlossen.
    Manni stöhnte auf.
Seine Haut war fieberheiß, die Lippen trocken. Auch ich verspürte starken
Durst. »Ein Königreich für eine Flasche Wasser«, flüsterte ich.
    Mutter
ist nicht zu Hause. Vielleicht holt sie etwas zu essen. Vater ist weg. Schon
lange, im Krieg. Nachts tönen die Sirenen, und wir müssen entscheiden, ob wir
in der Wohnung bleiben oder in den Bunker gehen. Mutter bleibt oben bei Martin.
    Ich
war letzte Nacht mit Fräulein Gerber im Bunker. Das Fräulein hat nur mit Herrn
Schmidt geredet. Um mich kümmerte es sich nicht. Also war ich allein mit den
anderen. Ich hatte schreckliche Angst vor den vielen großen Leuten. Angst, dass
sie mich zerquetschen.
    Wie
allein ich jetzt in der Wohnung bin. Ich habe Hunger. Ich sterbe fast vor
Hunger. Ich darf mich nicht vom Fleck rühren, hat Mutter gesagt. Martin wirft
sich von einer Seite zur anderen. Wie winzig er ist. Ich habe Durst. Ich bin
noch klein, ich reiche nicht an den Wasserhahn. Die Gläser sind im Schrank.
Martin umklammert meine Hand. Ich lege ihm einen nassen Lappen auf die Stirn.
Mutter hat ihn mir hingelegt und mir alles erklärt.
    Bestimmt
ist es nicht schlimm, wenn ich kurz weggehe. Ich löse seine schweißnassen
Finger aus meiner Hand. In der Küche greife ich nach dem Hocker unter dem
Tisch. Puh, ist der schwer. Mit beiden Händen ziehe ich ihn vor. Ich stelle ihn
an den Küchenschrank – ein altmodischer Vitrinenschrank aus dunklem Holz mit
Glas an den Türen. Im ersten Anlauf habe ich Mühe, den Hocker zu besteigen.
Doch schließlich gelingt es mir, hinaufzuklettern. Ich richte mich auf, ziehe
an dem Türgriff. Die Tür öffnet sich, viel zu heftig, und schlägt mir vor den
Kopf. Ich falle hinunter und stoße mir den Kopf. Ich taste nach der Beule.
Bleibe auf dem Fußboden liegen. Aua, tut das weh! Niemand ist da, um mich zu
trösten. Ich weine leise vor mich hin und rühre mich nicht vom Fleck.
     
    Die verbrauchte
Luft im Bunker drückte. Mein Brustkorb fühlte sich an, als läge ein Stein
darauf. Das Atmen fiel mir schwer. Ich sollte versuchen, die Bretterwand zu
öffnen, und Hilfe holen, dachte ich. Doch wie gelähmt blieb ich auf dem harten
Boden sitzen, unfähig, mich zu erheben.
    »Ist tot. Ist tot.
Ist tot«, hallte es in meinem Kopf wider wie in meinem nächtlichen Alptraum.
    Manni röchelte.
Seine Haut fühlte sich an wie Pergament. Vermutlich hatte er weitere
Verletzungen, die ich noch nicht entdeckt hatte. Der Angreifer musste ihn übel
zugerichtet haben, bevor er ihn im Bunker liegen ließ. Ob er zu diesem
Zeitpunkt schon bewusstlos gewesen war?
    Ob der Angreifer
ihn hatte töten wollen?
    Manni rang nach
Luft.
    Leise sagte ich
den Psalm dreiundzwanzig auf: »Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts
mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Au. Er führet mich zum frischen Wasser …«
    Bildete ich es mir
ein, oder zuckte Manni bei dem Wort Wasser?
    Ich hatte
vergessen, meine Uhr umzulegen. Noch fiel Tageslicht durch den Spalt im
Bretterverschlag. Wie spät mochte es sein?
    Erneut versuchte
ich aufzustehen. Vergeblich, meine Füße schienen am Boden festgewachsen. Wirre
Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Was, wenn der Verschlag zugenagelt war
und ich ihn nicht öffnen konnte? Wenn der Angreifer mir draußen auflauerte? Ich
befürchtete das Schlimmste.
    Wer überhaupt war
der Angreifer?
    Rabenau nicht.
Rabenau saß ein. Giovanni vielleicht? Oder doch Jankewicz? Kaminski? Idschdi?
Luschinski?
    »Luschinski«,
sagte ich probehalber noch einmal, und der Gedanke an den Reporter ließ mich
für einen Moment lächeln. »Luschinski.« Meine Stimme hallte von den Wänden
wider. Manni wälzte sich auf die andere Seite.
    Dann war es still.
    Totenstill.
    Ein Moment der
absoluten Stille. Ich befand mich im Auge des Taifuns. Erschöpft, aber
lebendig.
    Ich hatte
überlebt. Damals. Ich würde überleben. Auch heute.
    Und schlagartig,
in diesem Moment der Erkenntnis, wusste ich, wer Hanning auf dem Gewissen
hatte. Wer Manni im Bunker eingesperrt hatte.
    Martin
wird ins Krankenhaus gefahren. Er kommt nicht

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