Kohlenstaub (German Edition)
wieder. Nie wieder. Ich bin
schuld, weil ich seine Hand losgelassen habe. Weil ich weggegangen bin.
Mutter
weint.
Sie
sagt, dass Martin jetzt im Himmel ist.
Bald
darauf ist auch Vater im Himmel.
Mutter
weint viel. Sie hält meine Hand, und ich muss sie trösten.
Jetzt
sind wir beide allein. Wir müssen weg aus der Stadt.
Alles
brennt. Wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Wann wir ankommen werden.
Doch
ich bin mir gewiss, dass wir ankommen werden.
»Martha,
Martha!«
Mutters
Stimme klingt plötzlich so anders.
Tiefer
als sonst.
»Martha,
Martha!«
ZWEIUNDZWANZIG
Das Licht war
verschwunden, dunkel das Innere des Bunkers.
Immer noch hielt
ich Mannis Hand, heiß und trocken, doch die Stille war vorbei.
Bretter krachten.
Stimmen waren zu hören.
»Hilfe! Hilfe!«,
schrie ich reflexartig. »Hilfe! Hier bin ich!«
Holz splitterte,
und gleich darauf war der Bunker voller Menschen.
»Da sind sie ja!«,
sagte mein Kollege Kruse. Zu meiner Überraschung klang es erleichtert.
»Schwester Martha! Der verlorene Sohn ist gefunden!«
»Wenn schon: die
verlorene Tochter!«, murrte ich.
»Der verlorene
Sohn«, beharrte Kruse. »Ich sprach von Manni Jankewicz. Er lebt doch wohl
noch?«
»So gerade eben«,
erklärte Luschinski, der sich vorgedrängt und nach Mannis Handgelenk getastet
hatte. »Schwacher Puls!«
»Weg da,
Luschinski!« Kellmann schubste den Reporter zur Seite. »Wasser für den jungen
Mann! Wo bleibt denn der Doktor? Es ist dringend!«
Durch den Eingang fiel
das letzte Tageslicht. Die Bretter waren achtlos zur Seite geräumt worden.
Teils lagen sie im Bunker, teils draußen.
Der Doktor,
derselbe, der Hannings Tod festgestellt hatte, untersuchte Manni.
»Ein Krankenwagen
muss her! Schnell! Gehen Sie in eines der Häuser und versuchen Sie zu
telefonieren!«, herrschte er Schwester Tabea an. Diese raffte ihr langes Kleid
und machte sich davon. Das weiße Häubchen leuchtete in der Abenddämmerung.
Jetzt sah ich auch
Giovanni. Er musste die Gruppe zum Bunker geführt haben.
»Giovanni!«, rief
ich. »Du hast die anderen geholt, stimmt’s?« Er nickte.
»Ich dachte mir
doch, dass du nur helfen wolltest! Warum hast du nicht von vornherein dem
Kommissar Bescheid gesagt?«
»I-i-i-ich«, stotterte Giovanni.
»Ich weiß schon«,
bereitete ich der Qual ein Ende. »Du denkst, er hätte dir nicht geglaubt!«
Wieder nickte
Giovanni.
Luschinski stellte
sich an meine Seite. »Martha, ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Erzähl doch,
was war los? Warum bist du nicht aus dem Bunker herausgekommen und hast Hilfe
geholt?«
Plötzlich war ich
müde. »Das ist eine längere Geschichte«, sagte ich matt und fühlte mich, als
hätte ich eine lange Reise hinter mir. Vielleicht war das auch so.
»Möglicherweise ein anderes Mal.«
»Warum nicht
jetzt?«, drängelte er und hob seine Kamera vor das Auge. »Wir haben doch Zeit!«
»Bist du jetzt der
Reporter, oder interessierst du dich für mich als Person?«, fragte ich.
Luschinski
lächelte verschmitzt. »Geht nicht auch beides?«
Ich starrte ihn
an. Sein Lausbubencharme ließ mich plötzlich kalt. »Nein!«, erwiderte ich mit
fester Stimme. »Keines von beiden. Lass mich in Ruhe. Ich habe Schlimmes
durchgemacht.«
Er zuckte mit den
Schultern und wandte sich ab.
Der Arzt beendete
seine Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Manni.
Der Junge atmete
jetzt ruhiger und schien zu schlafen. »Ich glaube, er schafft es. Wie geht es
Ihnen denn eigentlich, Fräulein Gerlach? Stehen Sie unter Schock? Benötigen Sie
ärztliche Hilfe?«
»Mir ist ein wenig
schwindelig. Ansonsten geht es mir gut.«
Während wir weiter
auf den Krankenwagen warteten, wurde es dunkel.
In der Ferne
ertönte das Martinshorn.
»Auf Tremonia habe
ich mit den Konfirmanden Blumen und wilde Kräuter geholt. Letztes Jahr zu Pfingsten.
Detlef war auch mit dabei«, erinnerte sich Kruse.
Ein Gedanke, der
mir vorhin gekommen war und den ich kurzzeitig vergessen hatte, drängte an die
Oberfläche. »Ich weiß übrigens, wer für Hannings Tod verantwortlich ist. Und
wer Manni hierher geschafft hat«, sagte ich laut.
»So?« Bildete ich
mir das ein, oder klang Kellmanns Stimme süffisant? Im Dunkeln sah ich die Glut
seiner Zigarette.
»Ja. Sie haben den
Falschen festgenommen, Herr Kommissar. Nicht Rabenau war es, sondern sein Sohn.
Detlef.«
»Wie kommen Sie
darauf? Rabenau hat gestanden.«
»Dass er die
Briefe geschrieben hat vielleicht. Das kann sein. Er wollte seinen Sohn
schützen und alle auf die
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