Kokoschanskys Freitag
Journalist liest es nochmals durch und unterschreibt.
„Wie geht’s jetzt weiter?“, fragt er.
„Der Akt wandert wieder zurück an die Staatsanwaltschaft und dann wird das Verfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit eingestellt. Wenn nicht, kommen mir ernsthafte Bedenken bezüglich unserer Justiz.“
„Wissen Sie“, sagt Kokoschansky, „ich nehme zwar das Ganze nicht sonderlich ernst, aber auch nicht auf die leichte Schulter. Ich sorge mich weniger um mich, dafür umso mehr um meine Lebensgefährtin. Und ic h habe einen kleinen Sohn.“
„Ich weiß“, schmunzelt der Kriminalbeamte, „Sie sind mit einer Polizi stin liiert.“
„Hm, sehr gut ermittelt“, lächelt Kokoschansky.
„Spaß beiseite. Ich glaube nicht, dass die etwas gegen die unternehmen. Schließlich muss man dann nur eins und eins zusammenzählen. Und ein e Polizistin weiß sich auch zu helfen. Ich habe Ihr Buch gelesen. Hat mir übrigens sehr gut gefallen. Meine Meinung, unter uns, die sind nur vorges choben. Dahinter steckt wer ganz anderer.“
„Ich weiß ...“, Kokoschansky steht auf, reicht dem Beamten die Hand, „... und Ihr Wort in Gottes Ohr.“
***
Selbstverständlich ist der Todesschuss des Polizisten das Hauptthema in sämtlichen Nachrichtensendungen. Nach und nach sickern einige Informa tionen durch und werden sofort verbreitet. Noch wird Erkan Kaytan als Held des Tages gefeiert und dem erschossenen Bankräuber, immerhin Vater einer fünfjährigen Tochter, keine Träne nachgeweint. Vielmehr beschäftigt die Frage, ob es ein Bankraub im Alleingang war oder nicht doch ein Komplize darin involviert war, der die Nerven verlor, die Flucht ergriff und seinen Kumpel im Stich ließ. Diese Theorie weisen Polizeisprecher entschieden zurück. Es handele sich um einen Einzeltäter. Sämtliche Zeugen, die das mit laufendem Motor geparkte Fluchtauto vor der Bank gesehen haben, bestätigen, dass keine zweite verdächtige Person weder im Fahrzeug noch in der Nähe zu sehen war.
Doch langsam wendet sich die anfänglich positive Stimmung gegen Erkan Kaytan. Gegen Abend wird in den Medien der Held zum Buhmann. Killer - Cop, Revolvermann, Gun-Man sind nur einige Bezeichnungen für Kaytan, der sich bislang noch nicht zu Wort melden darf. Das übliche sattsam be kannte Spiel setzt ein. Die politische Opposition schießt sich sofort auf die unbeliebte Innenministerin ein, auch der Polizeipräsident bekommt sein Fet t ab. Die große Frage lautet: gerechtfertigter oder ungerechtfertigter Schuss waffengebrauch? Noch hält sich die Polizei bedeckt, verweist auf die lau fen den Untersuchungen. Allerdings ist diese Verzögerungstaktik nur für kurze Zeit aufrechtzuerhalten. Während Kaytan medial immer stärker in eine Ecke gedrängt wird, stellt man das Opfer, den Bankräuber, in einigen Berichten als verzweifelte, gescheiterte Existenz dar, die keinen anderen Ausweg mehr sah, als zur Waffe zu greifen, um seine Schulden begleichen zu können. In einigen Berichten tauchen die beiden Schwerverletzten, die alte Frau und der Sicherheitsmann, nur als Randfiguren auf. Zumindest wird die Identität d es Todesschützen veröffentlicht. Erkan Kaytan ist ein siebenundzwanzigjähriger Wiener Polizist mit Migrationshintergrund. Der Türke ist bereits in Österreich geboren und seit fünf Jahren Angehöriger des Wiener Polizeikorps. Er hatte dienstfrei, war auf dem Weg zur Bank, weil er Geld abheben wollte. Als er das Foyer betrat, wusste er sofort was Sache war und stellte sich selbst in den Dienst, was für einen Polizisten völlig legitim ist. Äußerst dürftige und dürre Informationen, die bislang verlautbart werden.
Kokoschansky reicht es. Zornig drückt er den Ausschaltknopf der TV-F ernbedienung und legt das Ding auf den Tisch.
„Die Geschichte stinkt!“, meint er zu Lena, die es sich neben ihm auf der Couch bequem gemacht hat. „Darauf wette ich. Da ist etwas im Busch. Was meinst du dazu?“
„Na ja, es ist schon eigenartig. Unsere Häuptlinge sind wegen Krems ziemlich hellhörig und vorsichtig geworden. Du weißt doch, wie deine Zunft meine Kollegin und den Kollegen durch den Kakao gezogen haben.“
„Das stimmt schon“, pflichtet ihr Kokoschansky bei, „doch das ist auch ein Ausnahmefall. Jugendliche werden während eines Supermarkteinbruch s gestellt. Einer stirbt durch eine Polizeikugel, die er angeblich in den Rücken bekam und der Komplize wird durch einen weiteren Schuss schwer verletzt. Völlig klar, dass das ein Fressen für die
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