Kokoschanskys Freitag
Gesellschaft passen und schleunigst gefasst werden müssen. Kein Grund für die Bevölkerung, deshalb in Panik zu verfallen. In Wahrh eit tappt die Polizei noch völlig im Dunkeln, da die Türkinnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vernehmungsfähig sind. Auf Journalistenanfragen wird zwar nichts beschönigt, dennoch ist eine Beschwichtigungstaktik herauszuhören. Die Realität sieht völlig anders aus und ist noch nicht für die Öffent lichkeit bestimmt. Auf jeden Fall wird die Einsatzgruppe für die Bekämpfung der Straßen- und Drogenkriminalität, EBS, die Frequenz ihrer Nachtstreifen deutlich erhöhen.
Schuberth ist die Existenz einer bislang völlig unbekannten, noch nie i n Erscheinung getretenen, neonazistischen Gruppe im Großraum Hollabrunn sehr wohl bekannt. Durch Kokoschanskys Recherche kennt er nun auch den Namen, Eins-acht-neunzehn-acht.
Die Großfahndung nach Irmgard Kubela und ihrer kleinen Tochter Franziska ist österreichweit ausgedehnt worden, bisher ohne brauchbare Ergebnisse. Abgesehen von den üblichen Trittbrettfahrern und Wichtigtuern, die aufgrund der Fotos in den Medien, die aus Kubelas Privatbesitz stammen, die beiden mal in Wien, dann wieder in Salzburg und in Klagenfurt gesehen haben wollen.
Erkan Kaytan gaukelte in seinem Beruf den Elitepolizisten vor und wurde dafür mit zahlreichen Belobigungen geehrt. Was die ganze Zeit, seit er von Kaytans Existenz weiß, in Kokoschanskys Kopf herumgeistert, aber ihm bisher abwegig erschien, sind die türkischen Wurzeln des Bullen, die ihm im Gespräch mit Schuberth zumindest ansatzweise bestätigt wurden.
Greter hatte Kaytan schon längere Zeit auf dem Kieker, ohne selbst in den Vordergrund zu treten. Er verdächtigte Kaytan als Maulwurf, Schläfer und Angehörigen einer unbekannten radikalen islamistischen Terrorzelle, deren Hauptquartier die unscheinbare Dönerbude seines Bruders Fikret sein soll. Diese Zelle wird wahrscheinlich von einem geheimnisvollen Imam gesteuert, von dem überhaupt nichts bekannt ist.
Kaytan wurde gezielt in die Wiener Polizei eingeschleust, um sozu sagen an der Quelle zu sitzen. Er versah unauffällig seinen Dienst, hielt dabei stän dig Augen und Ohren offen, um jede noch so unbedeutende Information sofort weiterzuleiten. Wäre er nicht selbst zum Mordopfer geworden, hätte Greter ihn – der finale Todesschuss auf den Bankräuber als hervorragenden Vorwand – in den nächsten Tagen aus dem Verkehr gezogen.
Warum Kaytan den mutmaßlichen Neonazi Erdenberger niederstreckte und nur einen Tag später selbst ins Gras beißen musste, liegt noch immer völlig im Dunkeln.
Seit dem Gespräch mit Schuberth trägt auch Kokoschansky dieses explosi ve Wissen mit sich herum und teilt es in Ansätzen mit Lena.
Inzwischen hält Schuberth den Drohbrief an die Synagoge in Händen. Der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde war persönlich in seinem Büro aufgesucht und hat ihm den Brief übergab, der vom Kantor der jüdi schen Gemeinde gefunden worden war. Der neunte November hat für Nationalsozialisten eine historische Doppelbedeutung. Am neunten November 1923 missglückte ein Putschversuch Hitlers im Münchner Bürgerbräukeller und genau fünfzehn Jahre später, am neunten November 1938, fand im gesamten Dritten Reich die Reichskristallnacht statt, ein Pogrom gegen die Juden.
Sofort werden die Bewachungsmaßnahmen für die Wiener Synagoge und andere jüdische Einrichtungen in Österreich verstärkt. In einer geheimen Note bedankt sich der israelische Botschafter in Wien bei der Bundes r egierung für den Schutz und fordert gleichzeitig eine härtere Gangart gegen den immer stärker aufkeimenden Rechtsradikalismus in Österreich. Aus Tel Aviv dringen auf dem Wege der Geheimdiplomatie schärfere Töne nach Wien.
Nachdem Kriminalbeamte die Graffitis und Parolen an den Läden und Ständen der ausländischen Besitzer am Naschmarkt eingehend dokumentiert, untersucht und analysiert haben, mühen sich nun die Betroffenen mit dem Reinigen ihrer Geschäftsportale ab. Naturgemäß ist die Stimmung aufg eheizt und vergiftet. An verschiedenen Ecken stehen Gruppen beieinander und diskutieren wild gestikulierend.
Eine ähnliche Situation am Brunnenmarkt und im umgebenden Gassengewirr. In Cafés, Gasthäusern und den berüchtigten Beisln kennt man nur ein Thema: die Übergriffe auf die beiden Türkinnen. Was ständig unter der Oberfläche brodelt und gärt, kommt jetzt zum Ausbruch. Die latent vorhan dene
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