Kokoschkins Reise
vier Räume mit vier bis sechs Betten. Die Betten aus Stahlrohr erinnerten mich an Krankenhausbetten.»
«Alles furchtbar», sagte Hlaváček.
«Es gab außerdem einen Raum, in dem die schmutzige Wäsche aufbewahrt wurde und wo man die Schuhe putzen konnte. Schließlich sahen wir die beiden Waschsäle. Im Dachgeschoß befand sich auch das Schlafzimmer des Adjunkten.
Zuletzt führte der Adjunkt uns in den Keller. Wir sahen zuerst den Abstellraum für Fahrräder, dann: einen großen Duschraum, zwei Wannenbäder. Außerdem eine Dunkelkammer. Im Keller lag auch die Wohnung des Kalfaktors.»
«Das Wort kenne ich nur für einen Gefangenen, der Hilfsarbeiten für die Gefängnisbeamten leistet», sagte Hlaváček. «Aber irgendwie paßt das auch zu einem Internat.»
«Der Kalfaktor war ein Hausarbeiter oder Hausmeister.
Der Adjunkt brachte uns zurück zum Alumnats-Inspektor,der in seinem Arbeitszimmer im ersten Stock saß. Mama bedankte sich bei dem Adjunkten, wir verabschiedeten uns von ihm. Der Inspektor fragte Mama, wann ich ins Internat käme.
‹In einer Woche›, sagte Mama. Sie sprach mit dem Inspektor französisch.
Zu mir sagte der Inspektor auf deutsch: ‹Wir müssen überlegen, wie du am schnellsten Deutsch lernen kannst.›
Mama war glücklich über meine Aufnahme ins Joachimsthalsche Gymnasium. Sie müssen bedenken: In Deutschland herrschte Inflation, aber ich hatte eine Freistelle bekommen, ich war untergebracht und versorgt, und vor allem – meine Schulausbildung in Deutschland sollte beginnen. Ich wurde ohne Aufnahmeprüfung, die ich doch nicht hätte bestehen können, ein Alumnus des Joachimsthalschen Gymnasiums.»
«Für mich klingt das alles nach Kaserne», sagte Hlaváček. «In einer Kaserne wird man auch kostenlos untergebracht, versorgt und ausgebildet. Wollten Sie immer noch gerne in dieses Internat?»
«Bevor wir nach Berlin zurückfuhren, ging der Adjunkt mit uns noch zur Hausdame. Sie ließ den Famulus rufen, und wir saßen zu fünft in ihrem Wohnzimmer und tranken Tee. Ich fühlte mich aufgenommen. Die Hausdame sagte zu Mama, sie könne beruhigt sein, man werde für mich sorgen.
Eine Woche nach unserem ‹Antrittsbesuch› brachte Mama mich mit meinen Sachen nach Templin.
Diesmal stiegen wir am Bahnhof in den Stadtomnibus. Wir meldeten uns beim Alumnats-Inspektor. Er führte mich in den Arbeitsraum, den wir beim ersten Besuch gesehen hatten. Der Senior schlug mir auf die Schulter und zeigte auf den leeren Arbeitsschrank: ‹Das ist deiner!›
Von den anderen Jungen waren außer dem Senior nur zwei im Zimmer. Sie sahen mich neugierig an. Ich stellte meinen Koffer ab und gab ihnen die Hand.
Ich verließ den Arbeitsraum und folgte dem Inspektor. Wir gingen in sein Arbeitszimmer zurück, wo Mama wartete.
Der Inspektor ließ den Adjunkten kommen und sagte: ‹Zeigen Sie dem Jungen sein Bett und sein Waschbecken.›
Zu mir sagte er: ‹Jetzt verabschiede dich von deiner Mutter.›
Mama umarmte mich. Mir war auf der Stelle einsam zumute. Ich war noch nie für längere Zeit von Mama getrennt gewesen.
Ich ging mit dem Adjunkten ins Dachgeschoß. Er zeigte mir in einem der Schlafräume mit sechs Betten mein Bett und in dem linken Waschsaal mein Waschbecken.»
«Ich möchte mir nicht vorstellen, in einem Internat gelebt zu haben», sagte Hlaváček.
«Ich räumte meinen Arbeitsschrank ein. Unterdessen kamen die beiden anderen Jungen ins Zimmer. Alle fünf setzten sich um mich herum und fragten mich aus. Ichsagte ihnen in meinem gebrochenen Deutsch, daß ich aus Rußland käme.
‹Dann bist du ab jetzt der Russe›, sagte einer.
Der Senior brachte mich zum Abstellraum im Dachgeschoß, wo ich meinen leeren Koffer lassen konnte. Anschließend meldete ich mich bei der Hausdame. Sie sprach gerade mit dem Famulus.
‹Das trifft sich›, sagte sie. Den Famulus bat sie, mir meinen Platz am Tisch im Speisesaal zu zeigen.
Ich war angekommen. In den nächsten sechs Jahren sollte das Internat mein Zuhause sein.»
«Sie kannten Ihre Klasse noch nicht», sagte Hlaváček.
«Am nächsten Morgen vor dem Unterricht brachte mich der Adjunkt zum Rektor im Unterrichtsgebäude. Professor Graeber sagte: ‹Da bist du ja! Willkommen am Joachimsthalschen Gymnasium. Deine Lehrer wissen schon Bescheid.›
Zum Adjunkten sagte er: ‹Bringen Sie den Jungen in seine Klasse.›
Der Adjunkt wartete mit mir vor dem Klassenzimmer, dessen Tür offenstand. Ein Junge nach dem anderen ging hinein, und als der
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