Kokoschkins Reise
in die Dreigroschenoper. Aber das war zu teuer. Und Aline war nicht so sehr daran interessiert.
Unser größtes Vergnügen war es, tanzen zu gehen. Und natürlich sonntags ins Kino.»
«Der blaue Engel?»
«Nicht Neunzehnhundertneunundzwanzig. Den haben wir ein Jahr später gesehen. Aber Frau im Mond, von Fritz Lang, und Asphalt, und Die Büchse der Pandora nach Wedekind, von Georg Wilhelm Pabst, mit Louise Brooks als Lulu und Fritz Kortner als Dr. Schön. Alles Stummfilme.
Aline ließ sich nach dem Kinobesuch einen Pagenkopf à la Louise Brooks frisieren.
Mit dem Kleingarten gaben wir uns viel Mühe. Alines Mutter wollte die Kartoffeln einkellern, das Gemüse einwecken. Vorsorge für den Winter.
Aline nahm mich mit zu ihren Eltern, die in Steglitz wohnten. Zwei-Zimmer-Wohnung mit Wohnküche.»
«Wie lange wohnten Sie in der Laube?»
«Bis Oktober Neunundzwanzig.»
«Die Laube war nicht winterfest.»
«Ende Oktober sagte Aline: ‹Ich habe mit meinen Eltern gesprochen. Du kannst bei uns wohnen.›
Aline bewohnte bei ihren Eltern ein Zimmer, in dem anderen Zimmer schliefen ihre Eltern. Die Küche war der gemeinsame Wohnraum. Ich zog zu Aline.
Aber vorher fuhr ich zum Belle-Alliance-Bad in der Gneisenaustraße und nahm ein Wannenbad.
Alines Mutter nannte mich bei den Nachbarn ‹Alines Verlobter›.
Ich gab Alines Mutter regelmäßig Kost- und Wohngeld, obwohl Aline gesagt hatte, das Wohngeld könne ich mir sparen, weil die Miete durch meinen Einzug schließlich nicht gestiegen sei. Ich sagte, die Mutter solle das Wohngeld nehmen, weil ich ein eigenes Zimmer nicht bezahlen könne.
Noch beinahe ein ganzes Jahr arbeitete ich als Hilfsgärtner im Botanischen Garten. Es war ein schönes Jahr. Morgens mit Aline zur Arbeit, nachmittags mit Aline nach Hause.
In dieser Zeit ging ich allerdings nach der Arbeit auch oft im Botanischen Garten ins Botanische Museum, das von April bis August abends noch geöffnet hatte. Ich wollte das Museum gründlich kennenlernen.
Im Frühjahr Neunzehnhundertdreißig habe ich mich im Botanischen Museum als Museumsführer beworben.»
«Sie wollten die Gärtner-Arbeit aufgeben?»
«Ich wollte studieren und brauchte Geld.»
«Aber als Museumsführer …»
«Ich habe mich außerdem nach anderen Jobs umgesehen. Nachhilfe-Unterricht für Schüler am Grunewald-Gymnasium. Banjospieler und Sänger in kleinen Tanzkapellen.
Neunzehnhundertdreißig habe ich mich für das Biologie-Studiuman der Berliner Universität eingeschrieben. Zum Wintersemester.
Als Museumsführer im Botanischen Museum mußte man ein Biologie-Studium absolviert haben. Ich durfte nur gelegentlich als Ersatz einspringen bei kleinen Führungen. Der Nachhilfe-Unterricht war meine Haupteinnahmequelle. Banjospielen und Singen wurden schlecht bezahlt.»
«Sie haben es trotzdem gewagt, an die Universität zu gehen?»
«Ohne Alines Ermutigung und ohne Alines Eltern wäre es nicht gegangen. Zwar habe ich Kost- und Wohngeld an sie gezahlt. Aber das hätte nicht gereicht, wenn ich allein hätte leben wollen.
Ich sollte an die Universitätsverwaltung Studiengebühren und Vorlesungshonorare bezahlen. Studiengebühren pro Semester, Vorlesungshonorare pro Wochenstunde. Das hätte ich nicht geschafft.
Ich bat den Direktor des Joachimsthalschen Gymnasiums, Professor Kappus, um eine Art Armutszeugnis. So wurden mir die Studiengebühren und Vorlesungshonorare für die Dauer des Studiums gestundet. Rückzahlung bei einer späteren Berufstätigkeit innerhalb von sechs Jahren.»
«Ein Darlehen.»
«Das gab es in Preußen auch schon im neunzehnten Jahrhundert. Ich kaufte mir den billigsten Anzug von der Stange und fuhr jeden Tag in die Universität. Nach den Vorlesungen und Seminaren saß ich die meiste Zeit in Bibliotheken.Eigene Bücher konnte ich mir nicht leisten. Wegen meiner Jobs hatte ich immer wenig Zeit für Aline. Aber sie hat zu mir gehalten. Vielleicht war sie auch ein bißchen stolz auf mich: Vom Hilfsgärtner zum Biologie-Studenten.
So ging es fort.
Ich muß Ihnen nicht erzählen, wie das Studium ablief. Ich ermüde Sie!»
«Nein! Erzählen Sie!»
«Seit ich die Universität besuchte, nahm ich deutlicher als vorher wahr, was um mich herum geschah. Ich hatte Kommilitonen kennengelernt, die sich heftig über politische Dinge stritten. Ich sträubte mich innerlich dagegen, aber sie zogen mich doch in ihre Streitereien hinein. Zum Beispiel über Remarques Film Im Westen nichts Neues. Die Nazis randalierten
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