Kokoschkins Reise
für den Anfang eine leichte Arbeit zu: Komposterde sieben.
In der Mittagspause nahm Aline mich beiseite. ‹Meine Eltern haben einen Kleingarten mit Laube. Dort kannst du übernachten. Ich habe meine Eltern gestern gefragt.›
Ich war so überrascht, daß ich Aline umarmte und leicht küßte.
Sie lachte und sagte: ‹Nicht so stürmisch.›
Nach der Arbeit brachte sie mich zu dem Kleingarten. Wir gingen zu Fuß, vielleicht zwanzig Minuten. KolonieErlenstraße. Der Garten ungefähr zweihundert Quadratmeter groß. Die Laube hatte zwei Räume. Toilettenhäuschen separat in einer Gartenecke hinter der Laube. Plumpsklo. Vor der Laube eine Wasserpumpe. Kein elektrisches Licht, nur Petroleumlampen.
Eine Bleibe in Berlin, mitten im Grünen, nicht weit von der Arbeitsstelle. Ich war glücklich.
Zu Aline sagte ich: ‹Das kann ich mir gar nicht leisten.›
‹Teuer ist es nicht›, sagte Aline. ‹Du hilfst mir bei der Gartenarbeit.›
Alines Vater war Eisenbahner. Er hatte nicht genug Zeit für den Garten. Und Alines Mutter war die Gartenarbeit zu viel. Aline bewirtschaftete das Stück Land als Gemüsegarten, um Haushaltsgeld für die Familie zu sparen. Sie hatte Kartoffeln gepflanzt, sie zog Bohnen, Möhren, Kohlrabi, es gab Salat, Zwiebeln, Radieschen und Küchenkräuter. Nur am Garteneingang Blumen.
Aline sagte, ich solle am nächsten Tag meinen Koffer holen.»
«Durfte man denn in einer Laube dauerhaft wohnen?»
«Nein. Aber Aline redete mit den Parzellennachbarn, wahrscheinlich auch mit dem Vorstand der Kolonie. Offenbar haben alle ein Auge zugedrückt.
Am ersten Wochenende kamen Alines Eltern in den Garten. Sie begrüßten mich mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. Alines Mutter hatte einen selbstgebackenenRührkuchen mitgebracht. Aline kochte Kaffee. Wir saßen vor der Laube bei Kaffee und Kuchen.
Alines Vater sagte, die Arbeitslosigkeit werde immer schlimmer. Und die Stütze für die Arbeitslosen reiche vorn und hinten nicht. ‹Da kannst du von Glück sagen, daß du im Botanischen Garten untergekommen bist. Ein halbes Wunder ist das.› Er frage sich, wann es ihn erwische.
Alines Mutter sagte, die Eisenbahn fahre immer.
Immerhin könne er zur Not im Garten Kartoffeln buddeln. ‹Dann machst du uns Kartoffelsuppe. Oder Puffer.›
‹Red nicht so.›
‹Die Brüder Saß haben es richtig gemacht. Statt Kartoffeln haben sie einen Tunnel gebuddelt bis unter die Depositenkasse von der Disconto. Zweieinhalb Millionen Mark Reingewinn.›
‹Sag doch nicht so was. Die Polizei hat sie ja geschnappt.›
‹Aber beweisen konnte sie es ihnen nicht.›
‹Dir hätte die Polizei es bewiesen.›
Aline sagte, doof seien die Brüder Saß trotzdem gewesen. ‹Sie haben die Originalnoten von Richard Wagner liegengelassen. Tristan und Isolde, hab ich gelesen.›
‹Was hätten sie damit anfangen sollen›, sagte Alines Vater. ‹Verkaufen? Dann wären sie gleich hochgegangen.›
‹Schmeckt mein Kuchen?› fragte Alines Mutter.
‹Sehr gut›, sagte ich.
‹Dann iß noch ein Stück.›
‹Ich ärgere mich, daß die Hertha gegen Fürth verloren hat›, sagte Alines Vater. ‹Drei zu zwei. Lächerlich. Jetzt ist Fürth Deutscher Meister. Na, vielleicht nächstes Jahr.›»
«Am folgenden Wochenende blieb Aline bei mir in der Laube. Ich war aufgeregt. Aline nicht. Ich war nicht ihr erster Mann, aber sie war meine erste Frau.»
«Ein Sommer im Grünen.»
«Aline wollte an den Wochenenden immer etwas unternehmen. Am liebsten schwimmen gehen. Die neue Freibadanlage am Wannsee wurde erst ein Jahr später eröffnet. Man konnte aber natürlich auch in der alten Badeanstalt Wannsee seine Zeit verbringen.
Wenn wir etwas gespart hatten, gingen wir ins Varieté. Das liebte Aline sehr. In die Scala in der Martin-Luther-Straße, wo wir Charles Rivel erlebt haben, Akrobat Schööön. Oder in den Wintergarten in der Dorotheenstraße. Dort haben wir die 3 Codonas gesehen und Grock mit seinem ‹Nit möööglich›. Aline hat den Ausspruch übernommen. Alines besonderer Favorit war Otto Reutter: ‹In fünfzig Jahren ist alles vorbei.›
Billiger war es, in den Zirkus zu gehen. Am Bahnhof Börse, in den Zirkus Busch.»
«Für Sie waren diese Ereignisse Gegenwart», sagte Hlaváček. «Für mich war das alles immer Geschichte.»
«Das ist es für mich jetzt auch.»
«Und das Theater?»
«Ich wäre gerne ins Theater gegangen. Bei uns um die Ecke ins Schloßparktheater. Oder ins Theater am Schiffbauerdamm,
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