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Kokoschkins Reise

Kokoschkins Reise

Titel: Kokoschkins Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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mein besonderes Interesse für Botanik.»
    «Sie hofften allen Ernstes auf eine Arbeit im Botanischen Garten? Angesichts der Arbeitslosigkeit?»
    «Ich habe mich auf meine Arbeit im Lehmann-Garten berufen. Professor Lehmann hatte gemeinsam mit Professor Diels, dem Direktor des Botanischen Gartens, Erbfolgeversuche an Löwenmäulchen unternommen. Das wußte der Beamte im Büro der Garteninspektion. Ich bekam eine Arbeit als Hilfsarbeiter der Gärtnerei. Hilfsgärtner.»
    «Und die Bezahlung?»
    «Reichte gerade zum Überleben. Ich sollte mich am nächsten Morgen bei einer Art Vorarbeiterin melden. Aber ich suchte die Vorarbeiterin gleich. Ich fand sie beim Wirtschaftshof. Eine junge Frau, vielleicht zwei, drei Jahre älter als ich. Sie gab mir die Hand und sagte: ‹Ich heiße Aline.›
    Ich sagte: ‹Fjodor.›»
    «Die schöne Helena», sagte Hlaváček.
    «Sie war tatsächlich schön, in meinen Augen. Ich sagte ihr, daß ich am nächsten Morgen mit der Arbeit anfangen solle, aber weder Arbeitskleidung noch Arbeitsschuhe besäße.
    Sie sagte, einen alten Blaumann und alte Schnürschuhe werde sie für mich finden.
    Der Botanische Garten. Er erschien mir wie ein Paradies. ‹Eine wunderbare Schöpfung von Wissenschaft und Geschmack› hat Franz Hessel gesagt.
    Bis zur Schließung des Gartens war nicht mehr viel Zeit. Ich verabschiedete mich von Aline. Sie fragte: ‹Wo wohnst du?›
    ‹Nirgendwo.›
    ‹Aha.›
    Ich ging den Großen Weg entlang, vorbei an Mittel- und Südamerika, Australien linkerhand, vorbei am Palmenhaus rechterhand, zwischen Deutschem Wald und Arzneipflanzen, vorbei am Botanischen Museum bis zum Ausgang am Königin-Luise-Platz.
    Wohin sollte ich gehen? Für die billigste Pension fehlte mir das Geld. Sollte ich mich um eine Bettstelle als Schlafgänger bewerben? Aber da hätte ich nur am Tag für ein paar Stunden ein Bett mieten können. Auch das wäre zu teuer für mich gewesen. Ich brauchte ein Bett für die Nacht. Vielleicht hätte ich in einen Bahnhofswartesaal dritter oder vierter Klasse gehen und einen Platz auf einer Bank finden können. Aber ohne Fahrkarte in der Taschehätte man mich aus dem Saal geworfen. Oder sollte ich in ein Obdachlosenasyl gehen. Ich wußte nicht einmal, wo ich ein Asyl hätte finden können. Später hörte ich von der ‹Wiesenburg›, dem Asyl an der Wiesenstraße im Wedding. Und vom Asyl ‹Palme› an der Prenzlauer Allee, hinter dem Kino ‹Elysium›. Ich bin froh, daß ich damals nichts von diesen Asylen wußte. Dort wurden von städtischen Beamten die Papiere kontrolliert. Die Beamten verglichen die Gesichter mit den Bildern auf Steckbriefen. Die ‹Palme› öffnete nachmittags halb vier. Bis sieben Uhr bekam jeder einen halben Liter Schleimsuppe. Zum Frühstück sogar einen dreiviertel Liter und ein Stück Brot. Die Suppe in angeschlagenen Emaillenäpfen. Für die Nacht kriegte man eine Wolldecke auf einem schmalen Bett aus Eisendraht. Keine Matratze, kein Kopfkissen. Die wären nicht zu reinigen gewesen. Die Wolldecken wurden jeden Tag desinfiziert. In jedem Schlafsaal standen sechzig Betten. In den Schlafsälen Gestank von Körperdünsten, schmutzigen Kleidern und Desinfektionsmitteln. Das hätte ich nicht ausgehalten.
    Ich wanderte um den Botanischen Garten herum, die Altensteinstraße entlang, die Wildenowstraße bis Unter den Eichen, am Eingang zum Botanischen Garten vorbei in Richtung Rathaus Steglitz, schließlich in die Straße am Fichtenberg. Im Park standen Bänke. Ich setzte mich und nickte ein. Ein warmer Sommerabend. Ich wußte nicht, daß es verboten war, nachts in Parks und Anlagen zu schlafen. Ich blieb einfach sitzen. Die wenigen Leute, die im Park spazierengingen, waren vielleicht zu vornehm,mich aufzuwecken. Gleich nebenan der Botanische Garten.
    Am nächsten Morgen war ich viel zu früh am Eingang zum Botanischen Garten. Ich mußte warten, bis die Angestellten und Arbeiter eingelassen wurden. Am Wirtschaftshof sah ich Aline kommen.
    Sie sagte: ‹Du siehst nicht gerade ausgeschlafen aus. Wo hast du übernachtet?›
    Ich zeigte auf den Fichtenberg.
    ‹So wird das aber nix›, sagte Aline. ‹Hast du gefrühstückt?›
    ‹Nein.›
    Sie goß mir aus ihrer Thermosflasche einen Becher Kaffee ein und gab mir aus ihrer Brotbüchse ein Brot mit Leberwurst.
    Im Geräteschuppen bekam ich einen alten Blaumann und alte grobe Schnürschuhe. Die Schnürschuhe waren mir zu groß.
    Schließlich teilte Aline die Arbeit für ihre Gruppe ein. Mir wies sie

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