Koks und Karneval
Sünde auf ihrem Stuhl, schlürfte Campari Orange und bedachte die Karnevalisten, die an der breiten Fensterfront des Schröder’s vorbeischwankten, mit launigen Kommentaren wie: »He, du Arsch, der Friedhof ist ein paar Straßen weiter!« oder »Zurück an die Angel, ihr Würmer!« In ihrem superknappen Bodystocking wurde Nina auch nicht von Atemschwierigkeiten und Hitzewellen geplagt wie Susi, die unter dem schweren Laken kaum noch Luft bekam.
Daß Nina in ihrem Kostüm wesentlich attraktiver aussah – selbst mit der armlangen Pappnase –, war in diesem Zusammenhang kaum noch erwähnenswert.
Scheiße, dachte Susi finster, ich seh’s schon kommen – Nina wird heute den Supertypen abschleppen, von dem ich ein ganzes Landleben lang geträumt habe, und ich kann die Nacht in der Besenkammer oder auf dem Dachboden herumspuken. Wer fährt schon auf ein schwangeres Gespenst ab? Bestimmt keiner, der noch halbwegs normal ist.
»Genauso habe ich mir Karneval vorgestellt«, sagte sie laut. »Mit einem Bettlaken über dem Kopf und einem Koffer vor dem Bauch. Da kommt man richtig in Stimmung. Das fetzt so ab. Da fragt man sich, warum man nicht schon früher Gespenst geworden ist.«
Nina warf ihr einen giftigen Blick zu. »Warum hältst du nicht zur Abwechslung mal die Klappe? Ich hab’ dir gesagt, du sollst dir zum Trinken einen Mundschlitz ins Laken schneiden. Aber du mußtest ja dieses bescheuerte Grinsen draufmalen.«
Die häßliche Pappnase am Nebentisch beugte sich neugierig zu ihnen herüber.
»Na und?« fauchte Susi. »Lauf du doch mal mit einem Koffer vor dem Bauch herum. Dann wirst du schon sehen, wie deprimierend das ist. Wenn ich schon nichts zu lachen habe, will ich wenigstens grinsen können, selbst wenn’s nur aufgemalt ist.«
Sie klopfte wütend gegen den Koffer, der sich unter ihrem Laken abzeichnete, als wäre sie von einem Trafokasten geschwängert worden. Es gab ein eigenartig hohles Geräusch, und die häßliche Pappnase stürzte vor Überraschung fast vom Stuhl.
»He, Leevje«, sagte sie und griff nach Susis Kofferbauch, »wat es bloß met …«
Nina holte mit ihrem Besen aus und drosch der Pappnase auf den Kopf. Sie kippte mitsamt dem Stuhl um.
»Oh, Scheiße!« sagte Susi entsetzt. »Warum hast du das getan?«
»Weil ich Grabscher nicht ab kann«, sagte Nina so laut, daß es das ganze Lokal hören konnte. »Grabscher sollte man schon in der Wiege kastrieren.« Sie stieß der Pappnase den Besenstiel zwischen die Beine. »He, Arschgesicht, wenn du noch mal versuchst, meine Kusine zu begrabschen, zerquetsch’ ich dir die Eier, klar?«
Die Antwort bestand aus einem leisen Röcheln.
»Bist du denn völlig wahnsinnig geworden?« zischte Susi. »Ich lauf mit einem Koffer Koks vor dem Bauch herum, und du machst Randale! Das ist unglaublich!«
»Arschgesicht bleibt Arschgesicht«, sagte Nina starrsinnig, »und Arschgesicht hat Schläge verdient. Außerdem müssen wir jetzt sowieso los. Um acht kommt Petrus ins Filos; wenn wir den Deal abgewickelt haben, kannst du dich meinetwegen von allen Arschgesichtern der Südstadt begrabschen lassen. Au jau!«
Sie sprang auf, versetzte der Pappnase zum Abschied einen Stoß in die Rippen und stürmte zum Ausgang. Susi raffte ihr Bettlaken zusammen und lief ihrer Kusine hinterher. Erst auf der Straße holte sie Nina ein.
»Warum mußt du denn so rennen?« keuchte sie. »Mit dem verdammten Koffer vor dem Bauch kann ich kaum laufen. Was ist, wenn er runterfällt? Was ist, wenn er aufgeht? Was ist, wenn sich der Stoff über den Bürgersteig ergießt? Was ist, wenn …«
»Was ist, wenn ich dir den Besen vors Maul haue?« schrie Nina sie an. »Kannst du wenigstens für eine Minute deine Klappe halten?«
Susi heulte los.
»Au jau!« Nina verdrehte die Augen. »Natürlich, das hatten wir ja schon lange nicht mehr. Hey, reg dich ab. Tut mir leid, daß ich ausgerastet bin, okay?«
Susi heulte weiter.
Nina seufzte und nahm sie in den Arm. »Schon gut, du Landei, beruhige dich. Das war nicht so gemeint. Wir sind überreizt. Das liegt am Koks. Wir haben einfach zuviel gekokst. Ich kenne Leute, die sind nach ein paar Gramm mit Messern, Äxten und Kettensägen aufeinander losgegangen, aber hinterher waren sie wieder die besten Freunde.«
»Ich ertrage es nicht, wenn man mich anbrüllt«, schluchzte Susi. »Scheiße, ich komme doch vom Land!«
»Okay, von jetzt an wird nicht mehr gebrüllt. Wir wickeln den Deal mit Petrus ab, packen unsere Koffer und setzen uns
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