Koks und Karneval
letzten Wochenende diese unseligen fünfundzwanzig Gramm Kokain durch die Nasenlöcher gejagt hatte, war sein Leben völlig außer Kontrolle geraten.
Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen!
Gott war ihm erschienen und hatte ihm den Bauplan der Kosmischen Antenne offenbart, die angeblich all seine Probleme lösen und ihn reich und glücklich machen sollte.
Bernie lachte freudlos.
Gott hatte ihn belogen.
Mit der Antenne auf dem Kopf war er vom Reichtum weiter entfernt als je zuvor, und von Glück konnte überhaupt keine Rede sein. Nur an Problemen mangelte es nicht – und an Erinnerungslücken und mysteriösen Tagträumen, in denen er sich für den namenlosen Marsianer hielt.
Deprimiert griff er in die Manteltasche und schob eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. Die Nüsse halfen ein wenig – spirituell gesehen –, aber wenn er nicht bald ein Kölsch bekam, konnte er die Weiberfastnacht abhaken. Vage dachte er daran, sein Glück in der Salznuß zu versuchen, doch die gehörte zu den Südstadtkneipen, in denen er keinen Kredit mehr bekam, während er in allen anderen nie welchen bekommen hatte – aus Gründen, die ihm völlig rätselhaft waren.
Er hörte Sirenengeheul, doch statt dem erwarteten Krankenwagen sah er Tommy Zet mit wehendem weißem Mantel und einem Glas Kölsch in der Hand um das Severinstor biegen. Tommy Zet trug ein T-Shirt mit der Aufschrift Fördert den Breitensport – Amoklauf für alle und einen Karnevalshut, den er mit dem Blaulicht und der Sirene eines Spielzeugpolizeiautos sowie dem batteriebetriebenen Rotor eines Modellhubschraubers hochgerüstet hatte.
Mit heulender Sirene, flackerndem Blaulicht und surrendem Rotor trabte er auf Bernie Barnovic zu und schrie: »Platz für den Rettungshubschrauber! Platz für den Rettungshubschrauber!«
Bernie streckte gierig beide Hände nach dem Kölschglas aus. »Rette mich, Tommy!«
»Finger weg von meinem Bier«, fauchte der Rettungshubschrauber. »Und aus dem Weg mit dir! Ich muß in die Salznuß – den scharfen Weibern Erste Hilfe leisten. Es geht wie immer um Leben und Tod!«
»Aber ich brauche doch Erste Hilfe!« kreischte Bernie. »Bei mir geht es um Leben und Tod!«
Widerwillig reichte Tommy Zet ihm das Glas. »Mit dieser Antenne siehst du tatsächlich wie jemand aus, der Hilfe braucht. Warum kannst du nicht wie jeder normale Mensch eine Pappnase tragen?«
»Weil ich mir eine Pappnase nicht leisten kann.« Gierig stürzte er das Kölsch hinunter. »Weil ich hoffnungslos pleite bin. Hast du vielleicht einen Zehner für mich? Oder einen Hunderter?«
»Ich bin nur der Rettungshubschrauber; keine Bank oder so was.« Gereizt ließ Tommy Zet seine Sirene aufheulen. »Versuch’s doch mal im Filos. Da steht ein betrunkener Pinguin an der Theke und schmeißt eine Lokalrunde nach der anderen. Schwer gestört, das Tier. Hat angeblich heute morgen im Bahnhof was Grauenhaftes erlebt, aber ich …«
Bernie Barnovic hörte schon nicht mehr zu.
Mit wippender Antenne stürzte er davon, durchs Severinstor und über den Chlodwigplatz, preschte über den Karolingerring, zwang eine mit Mäusen besetzte Ente zur Vollbremsung, geriet fast unter eine hektisch bimmelnde Straßenbahn, erreichte den rettenden Bürgersteig, schlitterte mit flatternden Mantelschößen in die Merowingerstraße und setzte zum Endspurt an.
Das Filos war nicht mehr weit.
Bernie rannte, und er betete, daß der schwer gestörte Pinguin noch immer an der Theke stand und die Kneipe mit kostenlosem Kölsch versorgte.
Gegen Abend war Susi Infernale vom vielen Koksen so überreizt, daß sie dringend ein Ventil für ihren angestauten Frust brauchte. Die häßliche Pappnase am Nebentisch, die angeberisch Champagner schlürfte und ihre Kusine Nina mit gierigen Blicken verschlang, sah nach einem großartigen Frustventil aus, doch mit einem Bettlaken über dem Kopf und einem Koffer Koks vor dem Bauch war an einen Schlag gegen die Pappnase nicht zu denken.
Frustriert angelte sie sich ihr vierzehntes Kölsch, holte es unter das Laken und kippte es in einem Zug hinunter.
»Eine beschissene Art, Weiberfastnacht zu feiern«, beschwerte sie sich. »Unter diesem verdammten Laken werde ich nicht mal betrunken. Scheiße, was für ein Karneval!«
Nina sagte nichts.
Offenbar hatte Nina gar nicht zugehört. Offenbar war es Nina völlig egal, wie es ihr ging. Hauptsache, Nina amüsierte sich prächtig.
Nina amüsierte sich in der Tat prächtig: sie rekelte sich wie die fleischgewordene
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