Koks und Karneval
mehr als der Sozialhilfesatz ist bis jetzt nicht dabei rumgekommen. Und wie kommst du überhaupt darauf, daß diese Punkerinnen so bescheuert sind und dir von dem Geld was abgeben werden? Das ist doch völlig …«
»Schnauze, du Tier!«
Spider schlug mit der Faust auf den Frühstückstisch, daß die Tassen und Teller einen halben Meter in die Höhe sprangen und Christiane einen erregenden Moment lang hoffte, er würde endlich zur Vernunft kommen und mit harter Hand für Ruhe sorgen. Aber zu ihrer Enttäuschung beruhigte er sich wieder.
»Nina und Susi haben gar keine andere Wahl. Weißt du, wer gestern im Radau em Veedel aufgekreuzt ist und sich erkundigt hat, ob jemand in der Szene drei Kilo Koks zum Verkauf anbietet?«
»Keine Ahnung. Ich war schließlich nicht dabei. Statt Weiberfastnacht zu feiern, mußte ich ja diesen fettärschigen Stadtrat mit der Rute bedienen, damit ich deine Schneiderrechnungen bezahlen kann.« Sie griff wieder nach dem Rasierapparat. »Also, wer ist gestern im Radau em Veedel aufgekreuzt?«
»Charly Hoballa.«
»Balla-Balla-Charly? Diese kleine geile Ratte von einem Koksdealer?«
»Genau der Charly Hoballa. Er ist ein guter Freund von Barrera, der mir schon seit Wochen zehn Riesen schuldet. Und Barrera ist Kolumbianer – genau wie Lorcaz. Kapierst du jetzt?«
»Wer ist Lorcaz?«
»Der rechtmäßige Besitzer des Koffers. Der Kolumbianer, der nach der Schießerei im Hauptbahnhof entkommen ist. Jede Wette, daß er mit Hoballa zusammenarbeitet und sich bei Barrera versteckt.« Spider wackelte aufgeregt mit den Zehen. »Entweder geben mir Nina und Susi meinen gerechten Anteil an der halben Million, oder ich verpfeife sie bei Lorcaz. Kannst du dir vorstellen, was Lorcaz mit den beiden macht, wenn er sie in die Finger bekommt? Er häutet sie bei lebendigem Leib und hängt sie anschließend an den Eiern auf!«
Christiane Hylf hielt mit dem Rasieren inne. »Häuten ginge ja noch, aber wie will er sie an den Eiern aufhängen? Das ist …«
»Schnauze! Ist doch völlig egal, wo er sie aufhängt. Jedenfalls werde ich mir die beiden vornehmen. Meine Fresse!« Er warf die Zeitung durch die Luft. »Bald bin ich reich!«
Sie erstarrte.
Ich!
Er hatte ich gesagt, nicht wir!
Dieser Mistkerl. Diese kleine Kröte! Seit Jahren lebte er bei ihr wie die Made im Speck, und jetzt, wo das große Geld lockte, wollte er das Geschäft allein machen. Na warte! dachte sie grimmig. So geht kein Mann mit mir um, und einer in löchrigen Socken schon gar nicht! Du wirst schon sehen, Spider! Du willst dir die beiden vornehmen? Mach das. Aber ich werde heute noch Barrera anrufen und ihm flüstern, wer den Koffer hat – gegen eine Beteiligung, versteht sich.
Christiane Hylf lächelte versonnen.
Und wenn dieser Lorcaz tatsächlich so brutal war, wie Spider behauptete …
Oh, là, là, dachte sie mit einem wollüstigen Schaudern. Oh, là, là!
Bernie Barnovic ahnte zwar, daß er erhebliche Verwicklungen heraufbeschworen hatte, aber er zog es vor, lieber nicht daran zu denken. Nach fast vierundzwanzig Stunden pausenlosen Koksens war er ohnehin in einem dermaßen überspannten Zustand, daß er jeden Kontakt zur Realität verloren hatte, und so, wie die Dinge lagen, konnte er nur froh darüber sein.
Er saß mit käsebleichem Gesicht in Tommy Zets Hinterhofapartment am Chlodwigplatz, hielt den Kokskoffer wie einen Rettungsring umklammert und versuchte sich mit der Tatsache abzufinden, daß Gott einen Fehler gemacht hatte – er hätte nicht zulassen dürfen, daß Bernie Barnovic geboren wurde. Jetzt war es zu spät, um noch etwas daran zu ändern.
»O je, o je, o je«, brabbelte er besorgt. »Was sollen wir nur tun?«
Tommy Zet, der auf dem Boden hockte, warf per Knopfdruck seinen Hubschrauberhut an – mit mäßigem Erfolg: Der Rotor drehte sich mit schlappem Schnarren, das Blaulicht glomm wie eine trübe Funzel, und die Sirene gab nur ein leises Winseln von sich.
Seit Bernie Barnovic mitten in der Nacht mit einem Koffer voller Kokain bei ihm aufgekreuzt war, hatte Tommy Zet ein halbes Dutzend Batterien verbraucht und trotzdem noch keine Lösung für Bernies Probleme gefunden. Er war schon einige Jahre während des Karnevals als Rettungshubschrauber im Einsatz, doch einen derartigen Notfall hatte er noch nie erlebt.
Er schielte zu Bernie hinauf. Sein Gast sah im verblassenden Tageslicht wie sein eigenes Gespenst aus. Und nach allem, was er inzwischen erfahren hatte, kam Tommy das wie ein Omen vor.
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