Koks und Karneval
dich massakriert?«
Bernie versuchte nachzudenken, aber bei diesem schrecklichen Sirenengeheul kam er zu keinem Ergebnis.
»Tscha«, meinte er unsicher. »Wenn es denn sein muß …«
Tommy zerrte ihn vom Stuhl, nahm ihm den Koffer ab und schob ihn zur Tür.
»Es muß sein! Denk an Petrus! Denk an das Duo Infernale! Denk an Charly Hoballa! Denk an den Kolumbianer. Also ab mit dir!«
Schwungvoll warf Tommy die Tür hinter Bernie zu und wartete, bis dessen Schritte im Treppenhaus verklungen waren. Dann begann er leise zu kichern. Er kicherte noch immer, als er eine halbe Stunde später mit heulender Sirene, flackerndem Blaulicht, surrendem Rotor und prall gefülltem Erste-Hilfe-Koffer durch die Nacht flog – der Rettungshubschrauber war wieder im Einsatz, allzeit bereit, den scharfen Weibern von Köln in höchster Not beizustehen, ob sie nun wollten oder nicht …
Schon im Treppenhaus nagten die ersten Zweifel an Bernie Barnovic; auf dem Chlodwigplatz verdichteten sie sich; und als er in die Bonner Straße einbog und sich langsam dem Radau em Veedel näherte, wurden die Zweifel zur Gewißheit. Er hatte einen schrecklichen Fehler gemacht – er hätte Tommy Zet niemals mit dem Kokskoffer allein zu Hause lassen dürfen.
Niemand war stark genug, der Versuchung eines drei Kilo schweren Kokskoffers zu widerstehen, und ein Typ wie Tommy Zet, der mit einem selbstgebastelten Hubschrauberhut durch die Gegend lief, schon gar nicht. Wahrscheinlich war er längst mit dem Koffer auf und davon. Wahrscheinlich war er längst dabei, irgendwelchen scharfen Weibern die Nase zu pudern und Bernies Traum vom sicheren Exil in der Wüste Gobi unter einem Riesenhaufen Schnee zu begraben.
Bernies Schritte stockten.
»O je, o je, o je«, brabbelte er besorgt.
Nervös suchte er in den Taschen seines natogrünen Trenchcoats nach den gesalzenen Erdnüssen, die allein seine Spiritualität zu bewahren vermochten, fand aber nur eine Handvoll Ein- und Zweipfennigstücke, eine Mark vierundzwanzig, seine letzte Barschaft. Schlagartig wurde ihm klar, daß er sich schon aus finanziellen Gründen keine Zweifel an Tommy Zets Vertrauenswürdigkeit leisten konnte.
Zweifellos hatte er nur zuviel gekokst.
Zweifellos war sein Mißtrauen chemisch erzeugt und hatte mit der Realität nichts zu tun.
Er mußte dem Rettungshubschrauber vertrauen, denn wenn er dem Rettungshubschrauber nicht mehr vertrauen konnte, wem konnte er dann noch vertrauen?
Mit energisch wippender Antenne stiefelte er weiter. Erst als er das Radau em Veedel erreicht hatte, fragte er sich wieder, ob er nicht einen schrecklichen Fehler gemacht hatte – die Eckkneipe wirkte auf ihn so einladend wie ein Schlachthaus auf ein Mastschwein.
Die Fensterscheiben waren schwarz gestrichen, Fassade und Verschläge mit Hakenkreuz- und Totenkopfgraffiti beschmiert, und durch die offene Tür drang der tosende Lärm eines tieffliegenden Jagdbombergeschwaders – Speed Metal, die Lieblingsmusik der Hörgerätehersteller. Der Bürgersteig war mit schweren Motorrädern zugeparkt, die dank diverser Spoiler, Turbolader und superbreiter Gepäckträger wie Schlachtschiffe auf zwei Rädern aussahen und – nach den überdimensionalen Auspuffrohren zu urteilen – höchstwahrscheinlich mit Kerosin betrieben wurden. Vor der Tür lungerten drei schrankgroße Rocker mit dem Kamikaze Kölle- Signet auf den nietenbesetzten Lederjacken herum, tranken Bier aus einem gläsernen Motorradstiefel, polierten ihre Totschläger und sahen alles in allem so bösartig aus, daß Bernie Barnovic ihnen lieber nicht allein begegnet wäre.
Aber es war zu spät, um sich noch unauffällig zu verdrücken. Die Kamikazes hatten ihn bereits entdeckt.
»Ey, Leute, wat hat’n der häßliche Zwerg da auf’m Kopp, ey, ’ne Antenne oder wat, ey?«
»Der Zwerg is’ doch krank, ey, total beknackt, ey!«
»Wat will’n der beknackte Zwerg, ey, uns verarschen oder wat, ey?«
Bernie schluckte und machte auf dem Absatz kehrt, doch schon hatte ihn der größte und bösartigste Kamikaze, ein drüsenkranker Riese mit zernarbtem Gesicht, am Kragen gepackt und hochgerissen.
»Nich’ so eilig, Zwerg«, grunzte er. »Spuck’s aus, wat soll’n der Scheiß mit der Antenne? Willst uns nu’ verarschen, oder willste nich’?«
Bernie strampelte verzweifelt mit den Beinen. »Hilfe!« kreischte er. »Zu Hilfe! Ich habe euch doch nichts getan!«
Die Kamikazes lachten grölend. Einer von ihnen schüttete Bernie den Bierstiefel über den
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