Kolibri
an einen Fetzen Herz klammerte, richtig an. Und dieses Gefühl hatte er so lange nicht mehr verspürt, dass er schon befürchtet hatte, es sei auf ewig entschwunden. Nun, jetzt war es wieder aufgetaucht.
Karl räusperte sich, denn er wusste, dass das, was er gleich sagen würde, pathetisch klingen würde, aber dennoch sagte er: âIch möchte einmal etwas auf eine Weise machen, die ich für richtig halte. Nur ein einziges Mal.â
âHeute?â
âHeute. Jetzt.â
Maria umschloss die Holzblüten ihrer Halskette so fest, dass es wehtat und sagte: âOkay.â
Fritz Drechsler fand seinen Kollegen ganz hinten, in einer abgeschiedenen Ecke des Platzes, wo er auf einem Stapel Bauholz hockte, das unordentlich neben einer verwitterten Baracke aufgeschichtet war, und auf den winzigen tragbaren Fernseher starrte, der in seiner riesigen Pranke beinahe verschwand.
âDa bist du alsoâ, sagte Drechsler und produzierte einen perfekten, nach Nelken riechenden Rauchkringel, der in der warmen Abendluft langsam noch oben stieg und sich schlieÃlich in graue Schlieren zerfaserte, die sich ein paar Meter über dem Boden, etwa in Höhe der Stromleitungen für die StraÃenbahnen, in Nichts auflösten.
Widmaier brummte etwas Unverständliches und gab vor, ganz auf den Bericht im Fernseher konzentriert zu sein.
Drechsler lieà sich neben seinem Partner nieder, rauchte ein paar Züge von seiner Zigarette, drückte sie anschlieÃend sorgfältig aus und wedelte den Rauch vor seinem Gesicht weg. âBist du beleidigt?â, fragte er schlieÃlich und musterte Widmaier, der wie ein Felsbrocken auf den Brettern kauerte.
âHab gar nicht gewusst, dass du plötzlich Herr Wichtig geworden bistâ, sagte Widmaier, ohne den Kopf zu drehen.
âDu
bist
beleidigtâ, sagte Drechsler.
Widmaier hob den Kopf und blickte demonstrativ an Drechsler vorbei. âWo sind denn die anderen Wichtigtuer?â, fragte er. âBrauchen die nicht deine Ratschläge, um ihre wichtigen Aktionen richtig zu planen?â
Drechsler klopfte Widmaier auf die Schulter und sagte: âSchon gut, Erich. Der Kalina und ich, wir kennen uns eben schon lange, das weiÃt du, und ich wollte wissen, was mit Maria los ist.â
Widmaier richtete sich ein wenig auf und sagte: âWas ist mit ihr?â
Drechsler zuckte mit den Schultern. âSie haben versucht, Kontakt mit ihr aufzunehmen, ohne Erfolg.â Er berichtete vom zurückgelassenen Handy und der zerstörten Telefonanlage in der Fabrik.
âIhr wird schon nichts passiert seinâ, sagte Widmaier.
âHoffentlichâ, murmelte Drechsler und warf einen Blick auf den Fernseher. âWas läuft?â
âEine Art Hintergrundbericht über den Bombenleger und Geiselnehmer.â
âBaumgartner.â
âGenau.â
âDreh lauter, das interessiert mich.â
Das war knapp, dachte Bernhard Schrempf, als er drauÃen am Gang hinter dem Rollwagen kauerte und sich den Schweià von der Stirn wischte. Wäre er eine Sekunde länger im Büro geblieben, sie hätten ihn mit Sicherheit erwischt. Er hatte den Safe ohne gröÃere Mühe aufbekommen, nachdem Berger ihm die Kombination durchgegebenhatte â die neunstellige Ziffer hatte er auf seinen Handrücken geschrieben â, allein, den Behälter aus dem Safe zu holen, war schwieriger gewesen als erwartet. Aus irgendeinem Grund hatte Berger es nämlich für sinnvoll erachtet, den Behälter unter diversem Zeug zu verstecken. Aktenordner, übereinandergestapelte Dokumente, Reagenzgläser, die in Holzgestellen steckten, und all diese Dinge hatte Schrempf natürlich zuerst aus dem Safe räumen müssen, um an den Behälter, der ganz unten gestanden hatte, zu gelangen. Und als er den Behälter schlieÃlich drauÃen hatte, schwer, kompakt, silberglänzend und irgendwie furchteinflöÃend, hatte er den ganzen Krempel wieder zurück in den Safe schaffen müssen. Und als er sich gerade ein erleichtertes Lächeln angesichts der getanen Arbeit geleistet hatte, da hatte er den Aufzug gehört, wie er mit einem leisen, metallischen Geräusch zum Stehen gekommen war, in der obersten Etage. Voller Panik war er aufgesprungen, hatte den Behälter, der in etwa die GröÃe eines Partybierfasses hatte, gepackt und ein paar Meter weit durchs Büro geschleppt, aber der Behälter war viel zu
Weitere Kostenlose Bücher